Ein Hauch von Schnee und Asche
»Womöglich sollte ich dir diese Frage nicht stellen, aber ich tue es trotzdem. Macht es dir etwas aus, Sassenach? Dass du hier bist , meine ich. Wünschst du dir je, du wärst – zurück?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Nein, nie.«
Und das war die Wahrheit. Doch manchmal erwachte ich mitten in der Nacht und fragte mich, ist das der Traum ? Würde ich beim Aufwachen die warme Luft der Zentralheizung und den Duft von Franks Old Spice in der Nase haben? Und wenn ich dann wieder einschlief, umweht von Holzrauch und dem Moschus auf Jamies Haut, empfand ich ein schwaches, überraschtes Bedauern.
Falls er diesen Gedanken in meinem Gesicht las, ließ er es sich nicht anmerken, sondern er beugte sich nieder und küsste mich sanft auf die Stirn und nahm meinen Arm. Wir spazierten ein Stück in den Wald hinein, fort vom Haus.
»Manchmal rieche ich die Kiefern«, sagte er und atmete die harzig duftende Luft tief und langsam ein. »Und dann glaube ich für eine Sekunde,
dass ich in Schottland bin. Aber dann komme ich zu mir und sehe es; hier gibt es keine sanften Farne, keine endlosen kahlen Berge – nicht die Wildnis, die ich einmal kannte, sondern nur Wildnis, die mir neu ist.«
Ich glaubte, Sehnsucht in seiner Stimme zu hören, aber keinen Schmerz. Doch er hatte mich gefragt; also würde ich es ebenfalls tun.
»Und wünschst du dir je, du wärst zurück?«
»Oh, aye«, sagte er zu meiner Überraschung – und lachte dann, als er mein Gesicht sah. »Aber nicht so sehr, dass ich mir nicht noch mehr wünschen würde, hier zu sein, Sassenach.«
Er sah sich nach dem winzigen Friedhof mit seinen kleinen Ansammlungen von Grabhügeln und Kreuzen um – nur hier und dort markierten größere Steine ein besonderes Grab.
»Wusstest du, Sassenach, dass manche Leute glauben, dass der letzte Mensch, der auf einem Friedhof beerdigt wird, sein Wächter wird? Er muss Wache stehen, bis der Nächste stirbt und seine Stelle einnimmt – erst dann kann er ruhen.«
»Dann wird unser mysteriöser Ephraim wohl sehr überrascht sein, sich in einer solchen Position wiederzufinden, nachdem er so lange allein unter einem Baum gelegen hat«, sagte ich mit einem kleinen Lächeln. »Aber ich frage mich – was bewacht der Wächter eines Friedhofs, und wovor?«
Da lachte er.
»Oh … Vandalen vielleicht; Grabschänder. Oder Zauberer.«
»Zauberer?« Das überraschte mich; ich hatte gedacht, das Wort »Zauberer« sei gleichbedeutend mit »Heiler«.
»Es gibt Zauberriten, für die Knochen benötigt werden, Sassenach«, sagte er. »Oder die Asche einer verbrannten Leiche. Oder Erde von einem Grab.« Sein Tonfall war eigentlich leicht, doch ohne jeden scherzenden Unterton. »Aye, selbst die Toten müssen manchmal verteidigt werden.«
»Und wer könnte das besser als der Friedhofsgeist?«, sagte ich trocken. »Verstehe.«
Wir stiegen weiter bergauf durch einen Hain zitternder Espen, deren Licht uns mit grünen und silbernen Sprenkeln überzog, und ich blieb stehen, um einen Tropfen leuchtend rotes Harz von einem der papierweißen Stämme zu kratzen. Wie seltsam, dachte ich, und fragte mich, warum mich dieser Anblick innehalten ließ – und dann fiel es mir ein, und ich wandte mich abrupt um und spähte noch einmal zum Friedhof hinüber.
Keine Erinnerung, sondern ein Traum – oder eine Vision. Ein Mann mit zerschmetterten Knochen, der sich in einem Espenhain erhob, aufstand und wusste, dass es das letzte Mal war, sein letzter Kampf, und er entblößte seine zersplitterten Zähne, befleckt mit Blut, das die Farbe des Espenharzes hatte. Sein Gesicht war schwarz bemalt, die Farbe des Todes – und ich wusste, dass er silberne Füllungen in den Zähnen hatte.
Doch der Granitfels stand lautlos und friedlich da, übersät mit verwehten
gelben Kiefernnadeln, und markierte den Ruheplatz des Mannes, der sich einmal Otterzahn genannt hatte.
Der Augenblick verging. Wir ließen den Espenhain hinter uns und betraten eine andere Lichtung, die höher gelegen war als die Anhöhe mit dem Friedhof.
Ich stellte überrascht fest, dass hier jemand Holz geschlagen und den Boden gerodet hatte. Ein großer Stapel gefällter Baumstämme lag auf der einen Seite, und daneben lagerte ein Gewirr entwurzelter Stümpfe, obwohl eine ganze Menge mehr ihre Wurzeln noch im Boden hatten und aus dem dichten Kraut und den Schwingelgräsern ragten.
»Schau, Sassenach.« Jamie legte mir die Hand an den Ellbogen und drehte mich um.
»Oh. Oh, nein.«
Wir befanden uns hier so
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