Ein Mann für eine Nacht (German Edition)
Coronation Street ging gerade zu E nde. Verdammt, das hatte sie seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Jetzt würde sie nicht verstehen, worüber die Mädchen in der Kantine quasselten. Sie schaltete um. Da liefen gerade Nachrichten. Die konnte sie sich ja ansehen. Auf dem Laufenden bleiben. Sie gähnte träge, während ein paar Politiker über etwas vollkommen Unwichtiges schwadronierten. Nun ja, für Anna unwichtig. Es war schon komisch zu beobachten, wie die Leute im Hintergrund sich bemühten, interessiert zu wirken. Ein Mann, der neben einem der Politiker im Regen stand, zog die Stirn in Falten, als seine Brille allmählich beschlug. Wahrscheinlich hörte er gar nicht wirklich zu, sondern dachte nur daran, dass seine Familie und Freunde ihn im Fernsehen sehen konnten. Es machte richtig Spaß, das zu beobachten. Zwei junge Burschen hüpften wie bekloppt auf und ab. Weiter hinten huschte ein Paar unter einem großen Regenschirm vorbei. Der Mann hatte seinen Arm fürsorglich um die Hüfte seiner Frau gelegt. Er sah Jake ein bisschen ähnlich. Verdammt noch mal: Es war Jake! Anna stieß vor Schreck ihre Teetasse um und verbrühte sich die Oberschenkel. Sie schrie. Dieser Scheißkerl ! Jake sollte doch gar nicht in der Stadt sein. Das hatte er ihr jedenfalls erzählt. Aber wie der nationale irische Nachrichtensender RTE soeben bekannt gab, war er sehr wohl in der Stadt. Diese treulose Ratte.
Wütend blätterte sie in ihrem kleinen schwarzen Buch. Das wollte sie ihm nicht durchgehen lassen. Sie fand seine Nummer und stürmte, ohne zu überlegen, voller Zorn die Treppe hinunter.
Ihre Finger wählten automatisch die Nummer.
Er nahm ab. Sie warf zwei zwanzig Pence Stücke in den Schlitz, was ganz und gar nicht cool war. Es war wirklich Zeit, dass sie sich so ein blödes Handy zulegte.
„Ich bin’s“, sagte sie. Das war natürlich lächerlich, weil sein Handy ja ihre Nummer anzeigte.
„Das bist ... äh, das bist du“, sagte er etwas dümmlich. Anna biss die Zähne zusammen, um ihn nicht anzuschreien. Sie konnte lauten Verkehrslärm hören. Sie mussten in Richtung Stephen‘s Green unterwegs sein.
„Danke für die Karte“. Sie steckte einen Fünfziger und einen weiteren Zwanziger in den Schlitz. Himmel, ein Anruf zu einem Handy verschlang viel Geld.
„Nichts zu danken“, sagte er beunruhigt. „Sag mal, kann ich dich später anrufen?“
„Nein“, sagte Anna mit drohendem Unterton. „Ich vermisse dich. Ich möchte deine Stimme hören.“ Es machte ihr Spaß. „Kannst du nicht rüber kommen?“
„Nein.“ Er gab ein merkwürdiges Geräusch von sich. „Ich kann nicht, ich bin gerade am Stadtrand von Dundalk.“ Das war eine glatte Lüge. „Es dauert noch eine ganze Weile, bis ich kommen kann.“
Anna spielte weiter mit: „Ist klar. Es ist nur so, dass ich im Bett liege und mich langweile.“
„Ich kann später noch vorbeikommen“, verkündete Jake eifrig.
„Dann ist es zu spät“, seufzte Anna heuchlerisch. „Aber wenn du vor der Spätausstrahlung der heutigen Nachrichten nach Hause kommst, solltest du sie dir unbedingt ansehen. Falls nicht, bitte deine Mutter, sie aufzuzeichnen.“
„Warum?“
„Das wirst du dann schon verstehen“, sagte Anna scharf. „Gute Nacht und alles Gute.“
Sie legte auf. Ende.
Kapitel 18
„Das ist nicht dein Ernst. Das glaub ich nicht.“ Claire fiel der Hörer fast aus der Hand.
„Aber sicher. Das hab ich.“ Anna fing an zu kichern. Sie konnte nicht anders. Sie versuchte, sich Jakes Miene beim Betrachten seines kurzen TV-Triumphs vorzustellen.
„Ich hab Jake eigentlich nie wirklich über den Weg getraut“, gab Claire zu. Sie fand schon lange, dass Simons Kollege so aalglatt war, dass er sich selbst dabei ein Bein stellte. Gut, dass Anna den los war.
„Vielen Dank, dass du mir das sagst“, sagte Anna gekränkt.
„Also ich hab dich nicht in seine Arme geschubst“, gab Claire zurück. „Ist ja auch egal. Aber warum regst du dich so über ihn auf? Du bist ja auch nicht so ohne. Warst du heute nicht mit dem Dingsbums verabredet?
„Rich?“
„Nein, der Student.“
„Steve?“
„Jaa.“
„Das ist doch was ganz anderes“, sagte Anna abwehrend.
Claire kicherte. Sie konnte nicht anders. Anna war so unglaublich selbstgerecht. Sie warf den Männern alles Mögliche vor, aber sie selbst war mindestens genauso schlimm. Sogar noch schlimmer. Aber irgendwie hatte sie ja recht, oder? Es war eigentlich schade, dass es nicht mehr solche Frauen gab.
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