Eine Braut zu Weihnachten
erwartet wurde, zumindest für den Augenblick.
Aber wann immer ihre Ehe erwähnt wurde, zog sich ihr Magen zusammen. Sie hatte noch keine Gelegenheit gehabt, mit jemandem aus ihrer Familie zu sprechen, und war sich auch noch gar nicht sicher, ob eine Beichte ratsam wäre. Doch ratsam oder nicht, sie hatte auf jeden Fall beschlossen, dass sie Weihnachten nicht mit dem Unbehagen und den Schuldgefühlen verbringen wollte, die sie zu verzehren drohten.
Hinzu kam, dass sie nicht damit gerechnet hatte, dass das Schreckgespenst Skandal sie je beunruhigen könnte. Aber es war da und hing über ihr wie ein Damoklesschwert. Auch das zog ihr den Magen zusammen.
Sie holte tief Luft. »Ich würde gern etwas mit Ihnen besprechen, Vater.«
»Ja, aber zunächst einmal …« Er klappte das Buch zu. »Ich muss dich um Verzeihung bitten, Veronica.«
»Sie?« Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. »Aber weswegen denn?«
»Weißt du, hier in diesem Haus zu sein, bei dieser Familie …« Er schüttelte den Kopf. »Das hat mir vor Augen geführt, wie sehr ich dich im Stich gelassen habe.«
»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen.«
»Nein, wahrscheinlich nicht.« Er stellte das Buch ins Regal zurück. »Es wurde mir heute Abend beim Essen mit Sebastians Familie bewusst, die jetzt natürlich auch die deine ist …«
»Darüber wollte ich …«
»Lass mich bitte ausreden.« Er sah ihr ruhig in die Augen. »Dieses Geständnis fällt mir alles andere als leicht.«
»Das haben Geständnisse so an sich«, murmelte sie. »Aber ich fürchte, ich verstehe wirklich nicht, wovon du sprichst.«
»Es geht nicht um etwas, was ich getan habe, sondern vielmehr um etwas, was ich nicht getan habe.« Er zeigte mit dem Kopf auf die Karaffe Brandy. »Darf ich?«
»Aber ja, natürlich.«
Er ging zu dem Beistelltisch und schenkte sich einen Brandy ein. Veronica hatte es vorher nie bemerkt, aber er war ein gut aussehender Mann – oder vielleicht war distinguiert ein besserer Begriff. Er war größer als sie, schon grau um die Schläfen und hatte freundliche Augen. Traurige Augen. Auch das hatte sie noch nie zuvor bemerkt. Aber er war ja auch ihr Vater und einfach immer da gewesen.
»Möchtest du auch ein Gläschen?«
»Nein, danke.« Sie hatte genug Brandy für einen Tag gehabt.
Er schwenkte die dunkle Flüssigkeit in seinem Glas. »Als deine Mutter starb, war mir, als wäre auch ich gestorben.«
»Vater, Sie müssen nicht …«
»Doch, das muss ich«, widersprach er seufzend. »Ich überließ deine Erziehung Lotte und meiner Mutter. Es war nichts Bewusstes, Willkürliches. Sie waren dazu befähigt, und ich war es nicht. Du warst erst fünf, und ich hatte einfach kein Interesse mehr an irgendwas, nachdem ich deine Mutter verloren hatte.«
Veronicas Herz verkrampfte sich. »Vater.«
»Als du Charles geheiratet hast, hielt ich es für einen Fehler. Er war so viel älter als du, fast in meinem Alter schon. Aber ich hatte dir noch nie zuvor einen Rat gegeben und glaubte, kein Recht zu haben, es zu tun. Und du schienst glücklich zu sein.«
Veronica kämpfte mit einem Kloß im Hals. »Das war ich.«
»Erst heute Abend begriff ich, was für ein Versager ich als Vater war. All dieses Reden über Weihnachten.« Er stockte. »Wusstest du, dass deine Mutter und ich uns auf einem Weihnachtsball begegnet waren?«
Veronica schüttelte den Kopf.
»Jenes erste Weihnachten nach ihrem Tod … ich konnte es einfach nicht ertragen. Sie hatte Weihnachten immer so geliebt.« Er lächelte traurig. »Ich konnte mich nie dazu überwinden, Weihnachten so zu feiern, wie sie es immer getan hatte. Wie sie gewollt hätte, dass wir es feierten. Darin habe ich auch sie enttäuscht.«
»Vater …«
»Deshalb habe ich stets versucht, zu Weihnachten nicht im Land zu sein. In den Jahren, in denen wir in England blieben, machten meine Mutter und Schwester, die verstanden, wie es mir ging, nur wenig Aufhebens von diesem Tag. Aber heute sehe ich ein, wie falsch das von mir war.«
»Ich glaube nicht …«
»Weihnachten ist eine Zeit, die man mit der Familie und den Menschen, die man liebt, verbringen sollte. Eine Zeit des Danks, des Feierns und des Beieinanderseins.« Er schüttelte den Kopf. »Das alles habe ich dir verwehrt. Ich habe zu Weihnachten immer nur an mich selbst und meinen Verlust gedacht. Ich hätte wieder heiraten sollen, dir Brüder und Schwestern schenken …«
»Vater, Sie brauchen nicht …«
»Zumindest hätte ich lieben und schätzen sollen, was
Weitere Kostenlose Bücher