Eine Braut zu Weihnachten
sie beschlossen haben, nach Italien zu fahren. Lady Waterston wird gar nicht erfreut darüber sein, diese Familienzusammenkunft verpasst zu haben.«
»Und Portia sicher auch nicht.« Veronica zögerte. »Sind Sie schon lange verheiratet?«
»Etwas über zwei Jahre«, antwortete Evelyn mit einem liebevollen Blick zu ihrem Mann. »Ich hätte nie gedacht, dass ich überhaupt je heiraten würde. Ich hatte jahrelang kein Verlangen, es zu tun.«
»Man gewöhnt sich an seine Unabhängigkeit.«
»Ja, das ist wohl wahr.« Evelyn musterte Veronica. »Aber Sie waren schon einmal verheiratet.«
Veronica nickte.
»Verzeihen Sie meine Offenheit, aber ich konnte nicht umhin zu bemerken …«
»Emma möchte, dass du zu ihr nach oben kommst, damit sie ihrer Lieblingstante Gute Nacht sagen kann«, unterbrach Bianca so abrupt, dass beide aufschreckten. »Emma ist Dianas Tochter«, sagte sie zu Veronica.
Evelyn zog eine Augenbraue hoch. »Ich bin ihre Lieblingstante?«
»Aber ja, natürlich«, sagte Bianca aus vollster Überzeugung.
»Wie interessant. Und sie möchte, dass ich zu ihr nach oben komme?«
Bianca nickte. »Du solltest dich beeilen, bevor sie einschläft.«
Evelyn runzelte die Stirn. »Woher weißt du eigentlich, dass sie mich sehen will?«
»Eines der Mädchen sollte dich holen, und sie verwechselte uns beide.« Bianca warf Veronica einen Blick zu. »Wir können sehr verwirrend sein.«
Evelyn musterte Bianca. »Ich habe kein Mädchen gesehen.«
»Dann musst du sie übersehen haben«, entgegnete Bianca unbekümmert. »Aber das spielt ja auch keine Rolle, da du sicher nur sehr ungern ein Kind enttäuschen würdest, nicht?«
Evelyn erhob sich und sah Veronica an. »Möchten Sie mich begleiten? Ich mag zwar heute die Lieblingstante sein, aber morgen wird Emma sich bestimmt schon wieder jemand anders suchen.«
Veronica lachte und stand auf. »Ich komme gerne mit.«
»Ich auch«, sagte Bianca schnell. »Außerdem habe ich immer gedacht, ich wäre die Lieblingstante.«
In dem Moment trat Stokes ein und kündigte das Abendessen an.
»Andererseits jedoch«, sagte Bianca schnell, »kann Emma sicher warten, da das Essen schon aufgetragen ist.« Sie schüttelte bedauernd den Kopf. »Es wäre sehr unhöflich von uns, zu spät zu kommen.«
»Unsinn. Eine Lieblingstante zu sein bringt eine gewisse Verantwortung mit sich«, sagte Evelyn entschieden. »Ich werde zurück sein, bevor der erste Gang serviert wird.« Nach einem ermutigenden Lächeln für Veronica ging sie hinaus.
»Sollen wir dann zum Essen gehen?«, fragte Bianca munter.
»Ja, sollen wir?«, sagte Sebastian hinter Veronica.
Sie drehte sich um und betrachtete ihn eingehend. »Ist irgendetwas nicht in Ordnung?«
Er lachte. »Was sollte denn nicht in Ordnung sein?«
Bianca entfernte sich diskret, und Veronica sagte mit gedämpfter Stimme: »Ich weiß nicht. Ein Haus voller unerwarteter Gäste vielleicht?«
»Ah ja, das.« Er reichte ihr seinen Arm. »Es wird ein wunderbares Fest werden«, sagte er mit einer Entschlossenheit in der Stimme, als versuchte er, nicht nur sie, sondern auch sich selbst zu überzeugen.
»Ja, und da Weihnachten ist, hat es sogar irgendwie etwas Biblisches.«
»Kein Zimmer in der Herberge?«
»Mehr wie die Heimkehr des verlorenen Sohnes, würde ich sagen.« Sie zögerte. »Warum hast du mir nicht gesagt, wie lange du nicht mehr zu Weihnachten zu Hause warst?«
»Weil ich nicht daran gedacht habe, es dir zu sagen. Und was deinen biblischen Vergleich angeht, so ist er vielleicht nicht unpassend, aber ich denke wohl doch mehr im Sinne von Verhältnissen«, sagte er leise und führte sie ins Speisezimmer. »Biblischen, meine ich.«
Er begleitete sie zu ihrem Stuhl, und sie sah ihn an. »Sag mal, bringt es dich nicht in Verlegenheit, dass ich hier bin?«
»In Verlegenheit?« Er runzelte die Stirn. »Dein Hiersein?«
»Ja.«
»Aber nein. Ich wäre deinetwegen nie verlegen.« Er holte tief Luft und setzte ein erzwungenes Lächeln auf. »Ich hoffe nur, dass du von mir das Gleiche sagen kannst.«
So entschieden sein Ton auch war, Veronica glaubte ihm nicht ganz. Oder vielleicht war es ihr eigenes schlechtes Gewissen, dass sie sich Dinge einbilden ließ, die es nicht gab.
Schlechtes Gewissen? Veronica schnappte kurz nach Luft. Woher kam denn das? Sie hatte überhaupt keinen Grund, ein schlechtes Gewissen zu haben. Zumindest jetzt noch nicht. Aber dennoch war da die Sache mit der Absicht, und ihre Absicht war definitiv ungehörig.
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