Eine geheime Liebe - Roman
Carolinas Zimmer auf sie gemacht hat.
»Danke, sehr gut. All diese Spitze, diese Großmutterkissen! Ich habe mich wie eine Käthe-Kruse-Puppe gefühlt. Alles ist so einladend hier, so ordentlich, so unendlich sanft. Ich kann verstehen, dass Sie sich diese Gegend ausgesucht haben, um ein wenig Ruhe zu finden. Es ist ein wunderbares Refugium. Ich werde Sie manchmal besuchen, wenn Sie erlauben.«
Der Romaneffekt war gelungen, Gabriella. Auch dank der Sonate für Violine und Klavier von Debussy, die ich als leichte musikalische Begleitung unserer morgendlichen Begegnung gewählt hatte.
»Sie sind herzlich willkommen, Lucrezia. Ich habe mich immer mit asketischer Nüchternheit gekleidet, aber dieses Haus habe ich mit der Frivolität längst vergangener Zeiten ausgestattet. Meine Kinder machen sich darüber lustig, und ich weiß selbst, dass ich es mit der Spitze, all diesen Kissen in Petit-Point-Stickerei und den weißen Piquédecken übertreibe. Es ist, als würde ich auf Möbel und Gegenstände
die Weiblichkeit übertragen, die mein Körper lieber versteckt hat. Dieses Haus ist ein Schmuckkästchen, das mich schützt.«
»Das spürt man«, sagte sie, und in ihrer rauen Stimme klang überraschender Spott mit.
»Wenn es stimmt, dass wir das Leben längst verstorbener Menschen erben, habe ich mit Sicherheit im elften Jahrhundert gelebt, Lucrezia. Damals hat die kopernikanische Wende der Gefühle die Welt im Languedoc verändert. Es war die Zeit, als die westliche Kultur im Umbruch war. An den Adelshöfen näherte sich die irdische Liebe den Mysterien des Geistes an und hat Spuren hinterlassen, denen ich hartnäckig bis hierher gefolgt bin.«
Sie schien sich für die Wände zu interessieren, an denen überall gerahmte Fotos hingen.
»Wer sind all diese Leute?«
»Verwandte, Freunde, Gespenster. Ich sammele Rahmen jeder Größe und Form. Besonders alte und abgenutzte gefallen mir. Ich stecke Fotos von neidischen Tanten hinein, von meinen Kindern und meinen gefürchteten, abgöttisch geliebten Enkeln. Das erinnert mich an die Bilder, die Gräber schmücken: Vorfahren, Urgroßväter, Ururgroßväter, nie gesehene Großmütter, sepiafarben oder schwarzweiß. Nur die Kinder sind in Farbe. Als Mädchen habe ich mit dem Sammeln begonnen, auf italienischen Trödelmärkten. In manchen Rahmen steckten bereits Fotos, Unbekannte, die mich bei jedem Umzug begleiten: Männer mit den langen Schnurrbärten aus der Zeit des Risorgimento, blühende, in
Spitze gehüllte Mädchen, schöne, hochmütige Frauen, von unbekannten Malern mit dem Pinsel hingeworfen. Es ist eine Art imaginäre Familie. Eine, wie ich sie nie hatte. Jetzt hängt sie an den Wänden.«
Wir tranken Jasmintee, eines der wenigen Zugeständnisse, die Annette an die englische Küche macht. Lucrezia verschlang meine Croissants, die sie mit Brombeermarmelade bestrichen hatte.
»Was das Essen angeht, stehen Sie Ihrem Vater in nichts nach.«
»Ich werde einfach nicht dick, das ist alles.«
Mir fehlte der Mut, aber in Wahrheit wollte ich nur über ihren Vater sprechen. Wo sollte ich anfangen? Die Nacht hatte mich freigiebig mit Erinnerungen versorgt. Dieser Besuch hatte begonnen, sie freizusetzen und ein klares Bild von ihm heraufzubeschwören. Die Missverständnisse, die Begegnungen, sogar sein Geruch stiegen in mir auf. Ich musste mich so schnell wie möglich davon befreien. Jahrelang hatte ich es umgangen, mich an diesen Körper und dieses verzaubernde Lächeln zu erinnern, weil ich immer Angst hatte, von neuem den Schmerz in der Brust zu spüren, den ich nur allzu oft wie eine unverdiente Demütigung empfunden hatte. Die Schutzschicht über den Relikten meiner Vergangenheit schmolz in meinem Innern im selben Maße zusammen, wie Gesicht und Körper dieses Mannes in den Brennpunkt rückten.
Die Schachtel war auf dem Tisch im Wohnzimmer stehen geblieben, wo Annette ansonsten die Ordnung wiederhergestellt
hatte. Ich ging sie holen, während sich Lucrezia die erste Zigarette des Tages anzündete.
»Ich müsste mindestens zwei Stunden auf meinem Cello üben, Signora. Aber ich bleibe lieber hier und höre Ihnen zu. Aus Ihren Worten höre ich ein mir unbekanntes Portrait meines Vaters heraus. Vermutlich ist es eine Frage der Rollenverteilung, aber er hat mich noch wie ein Kind behandelt, als ich schon längst ausgezogen war. Eltern sind anders als in der Vorstellung, die man von ihnen hat, meinen Sie nicht auch?«
»In der Tat. Ich hatte nie den Mut, meine Kinder zu
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