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Eine Messe für die Stadt Arras

Eine Messe für die Stadt Arras

Titel: Eine Messe für die Stadt Arras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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schwieg still, er aber sprach weiter:
    »Ich habe dich gerufen, denn wer könnte ein besserer Gesandter an den Hof Davids sein? Nur dir wird der Bischof Gehör schenken. Und auch das weiß ich: du sprichst offen aus, was du über all diese Schandbarkeiten denkst. Ich bin nicht mehr jung, daher begreife ich wohl, welch schwerer Kampf sich in deinem Herzen abspielt. Viel verdankst du der Stadt. Aber denk doch nach… Gott ist unser Vater, und die heilige Kirche ist unsere Mutter. Eine Mutter sollte zu ihren Kindern besonders gütig sein – dabei ist sie nun grausamer als der Vater selber. Darf man das zulassen? Man hat mir berichtet, daß heute nacht viele Menschen umgekommen sind und die Judenhäuser in Flammen gestanden haben. Es stimmt schon, sie sind uns fremd. Auch daß in ihren Herzen mehr Böses steckt als in Christenmenschen, stimmt! Und dennoch – verbünde dich nicht mit den Anhängern der Gewalt! Das ist es, was ich dir sagen wollte.«
    Ich antwortete:
    »Farias, sofern dergleichen in Arras geschieht, muß es offenbar geschehen. Denn es ist Gott, der unsere Taten lenkt.«
    »Nein!« schrie de Saxe zornig und verzweifelt. »Er hat uns Verstand, einen Willen und Gottesfurcht gegeben. Frag Gott, und er wird dir zur Antwort geben, daß du in der Stadt bleiben und dich ihnen anschließen kannst, daß du aber auch zu David reiten kannst – ganz nach eigener Wahl!«
    »In Gott ruht die Hoffnung«, erwiderte ich leise.
    Farias de Saxe holte ein kurzes Messer hervor und hieb einen Zweig von einem Erlenbusch. Der klebrige Saft rann ihm über die Hand und tropfte auf die Erde. Der Graf sprach wie zu sich selber:
    »Du bist nicht der erste, Jean, und du wirst auch nicht der letzte sein… So geht’s zu unter der Sonne. Ich habe mal von einem Weibe namens Margarete gehört, das in fernen Zeiten lebte; die Frau, sie glaubte, ihre Seele sei völlig von Gott aufgesogen. Sie konnte also nicht mehr sündigen, weil Gott selber ihre Taten lenkte. Wie man berichtet, war sie eine hochachtbare Person, obschon man sie in Paris wegen anstößiger Häresie verbrannt hat. Es gab noch andere. Sie alle behaupteten, so in Gott aufgegangen zu sein, daß jede ihrer Gesten, jeder Schritt, jedes Wort ein Ausfluß göttlichen Willens sei. Wenn sie tränken, trinke Gott durch ihre Lippen. Wenn sie vergewaltigten, lenke Gott durch Tollheit ihr Geschlecht. Wenn sie töteten, erhebe Gott ihre Schwerter zum Stoß. Nun, sag selbst, kannst du dir eine süßere Entäußerung deines Ichs vorstellen? Der Mensch gibt in allem seinen Launen nach und bleibt doch rein wie ein Kind, denn man ist ja nur ein Werkzeug Gottes… Du sagst, es sei himmlischer Wille, was jetzt in Arras geschieht. Soll sich doch Gott über das vergossene Blut grämen und sich selber seine Sünden vergeben… wie ich dich beneide! Denn was mich angeht, ich erbebe bei jedem Schrei, der mich von der Straße her erreicht. Meinst du wirklich, daß irgend etwas außerhalb deiner selbst vor sich geht?«
    »Ich bin in Gottes Hand«, erwiderte ich scharf.
    De Saxe schaute mich an und schnitzte dabei weiter an dem Eschenzweig.
    »Aber er ist auch in deiner Hand, Jean, denn wie dich nach seiner Gnade verlangt, so verlangt ihn nach deiner Erlösung.«
    »Ihr sprecht wie ein Häretiker«, rief ich entsetzt.
    Wieder blickte er mich an, wachsam ein wenig und ein wenig kummervoll.
    »Du siehst Gott mit einem Wolfsrachen und mit messerscharfen Reißzähnen. Er verschlingt dich in seiner Gier, du aber bist nichts weiter als ein Stück Fleisch für seine heißhungrigen Lefzen. Ganz Arras ist so. Man gibt sich Schändlichkeiten hin, aber man bleibt sündlos, darin sieht man ja seine Auflösung. Wir bedeuten nichts, sagt ihr euch auf den Straßen, wir sind nur elendes Gewürm, ein Spielball des göttlichen Willens. Auf diese Weise bürdet ihr Gott all eure Sünden auf. Wie bequem das ist, Jean! Bald wird nichts mehr in euch sein, weil ihr alles an den Himmel abgetreten habt.«
    Wortlos ließ ich ihn stehen. Als ich mich noch einmal umwandte, sah ich, daß er mir nachschaute – eine ferne, einsame Gestalt in diesem Garten…
    Es war ein Tag ohne Ende. Um die Mittagsstunde wurde der Älteste der Gemeinde hingerichtet. Wieder machten sich die Leute zum Westtor auf. Unersättlichkeit verzehrte damals unsere Herzen. In jedem Bürger war das heiße Verlangen erwacht, der Stadt zu dienen. Wieder schossen in einigen jüdischen Anwesen die Flammen auf. Schreie, Gebete, Flüche vermischten sich miteinander,

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