Einen Stein für Danny Fisher: Roman
seien, uns selbst zu erhalten. Wir hatten zahllose Fragebogen ausfüllen müssen, und die Ermittlungsbeamten waren zu allen Tageszeiten in unsre Wohnung gekommen. Diese endlosen gründlichen Untersuchungen, bis nichts Privates in unserm Leben geblieben war, nichts, was wir unser eigen nennen konnten.
Ich erinnerte mich, wie uns die Ermittlungsbeamtin den ersten Scheck überbrachte. Es war eine dicke Frau in einem alten Pelzmantel. "Das gehört für Nahrungsmittel und andere lebenswichtige Dinge", hatte sie gesagt, während ich den Scheck übernahm.
Ich hatte genickt, ohne ihr in die Augen zu sehen. "Sollten wir erfahren", fuhr sie in eindringlich warnendem Ton fort, "daß Sie einen Teil davon für Whisky, Kartenspiel oder einen andern nicht vorgesehenen Zweck verwenden, dann stellen wir weitere Zahlungen unverzüglich ein."
Ich fühlte zwar, wie mein Gesicht flammend rot wurde, sah sie aber nicht an. Ich brachte es einfach nicht fertig. Nach dieser tiefen Demütigung meinte ich, nie wieder jemandem in die Augen sehen zu können.
Das war damals, ehe Vickie geboren wurde. Ich sah sie zum erstenmal, als mich die Nurse des städtischen Krankenhauses durch die Glastür schauen ließ. Vickie, meine Tochter, mein Kind. Klein und rosig und blond wie ich. Ich glaubte vor Stolz platzen zu müssen. Da wußte ich auch, daß ich nichts Unrechtes getan hatte, nichts, dessen ich mich zu schämen brauchte. Es lohnte sich, alle Demütigungen und Qualen auf sich zu nehmen, wenn man dann vor ihr stehen konnte und sie ansehen durfte.
Nachher hatte mir die Nurse erlaubt, zu Nellie zu gehen. Sie lag, gemeinsam mit sieben andern Frauen, in einem kleinen Zimmer im vierten Stock des Krankenhauses. Während ich auf ihr Bett zueilte, blickte sie mich mit weit-geöffneten dunklen Augen gelassen an. Ich brachte kein Wort hervor. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Ich beugte mich über ihr Bett, küßte sie auf den Mund und legte meine Hand auf ihren Arm.
Als sie zu mir aufsah, bemerkte ich eine kleine blaue Vene, die an ihrem Hals pulsierte. Sie schien sehr müde zu sein. "Es ist ein Mädchen", sagte sie.
Ich nickte.
"Aber sie hat dein Haar", fügte Nellie rasch hinzu.
"Und deine Augen und dein Gesicht", sagte ich hastig, "ich hab sie gesehen, sie ist eine kleine Schönheit!"
Da lächelte Nellie. "Bist du nicht enttäuscht?" fragte sie mit einer ganz kleinen Stimme.
Ich schüttelte entschieden den Kopf. "Sie ist genau das, was ich mir gewünscht habe", sagte ich mit Nachdruck. "Dein zweites Ich."
Die Nurse trat zu uns. "Mr. Fisher, es wird besser sein, wenn Sie jetzt gehen", sagte sie.
Ich küßte Nellie nochmals und verließ das kleine Krankenzimmer. Ich kehrte nach Hause zurück und verbrachte in der einsamen Wohnung eine ruhelose Nacht. Frühmorgens ging ich fort, um eine Stelle zu suchen.
Wie gewöhnlich war's wieder nichts gewesen. Schließlich beschloß ich, halb wahnsinnig vor Angst, mein Kind nicht ernähren zu können, Sam aufzusuchen und ihn zu fragen, ob er mir nicht helfen könne. Ich erinnerte mich, wie ich fast eine Stunde vor dem Empire State Building, in dem er sein Büro hat, auf der Straße gestanden hatte, ohne den Mut aufzubringen. Schließlich war ich doch eingetreten und mit dem Lift zu seinem Büro hinaufgefahren.
Die Empfangsdame wollte mich nicht einlassen, er wolle mich nicht empfangen. Da ging ich wieder hinunter, zu einem Telefonautomaten und rief ihn von dort aus an. Er antwortete in schroffem Ton. Schon bei seinen ersten Worten lief es mir kalt über den Rücken. Ich warf den Hörer auf die Gabel zurück und hatte einen bitteren Geschmack im Mund, während seine Worte noch immer in mir nachhallten. "Was ist los, Junge? Kommst schon wieder um ein Almosen betteln?" Erst von diesem Moment an wußte ich, daß sich alle Türen vor mir geschlossen hatten. Es gab tatsächlich niemanden mehr, an den ich mich wenden konnte. Ich hatte mir mein eigenes Bett gemacht.
Nellie war mit dem Baby nach Hause gekommen, und nahezu der ganze
Sommer verging, ehe ich etwas fand. Das war erst vor wenigen Wochen gewes- sen, und ich verdiente nicht einmal genug, um unsern Unterhalt zu bestreiten,
Es war zwar Nachtarbeit, aber ich war so verzweifelt gewesen und wollte
wenigstens irgend etwas arbeiten, daß ich gierig danach griff. Angestellter bei einem Soda-Automaten mit sechs Dollar in der Woche und den Trinkgeldern. Falls es mir gelingen sollte, es vor den Leuten des Arbeitsamtes geheimzuhal- ten, konnten wir
Weitere Kostenlose Bücher