Einfach göttlich
Allerdings: Ich wünsche keine gekritzelten Kommentare am Rand – es sei denn, sie sind interessant.«
»Na endlich!« entfuhr es Om. »Komm, gehen wir. Laß uns von diesem Idioten hier verschwinden.«
Brutha entrollte das Pergament. Es enthielt keine Bilder, nur viele winzige krakelige Zeichen.
»Er hat jahrelang geforscht«, sagte Didaktylos. »Zog in die Wüste, um mit den geringen Göttern zu reden. Hat auch mit einigen von unseren Göttern gesprochen. Ein tapferer und kluger Mann. Er meinte, Götter mögen es, wenn ein Atheist in der Nähe weilt – dann haben sie jemanden, den sie aufs Korn nehmen können.«
Brutha entrollte das Pergament weiter. Noch vor fünf Minuten wäre er ohne weiteres bereit gewesen zuzugeben, daß er nicht lesen konnte. Jetzt hätten ihn nicht einmal die Inquisitoren zu diesem Geständnis zwingen können. Er hielt die Schriftrolle auf eine – wie er hoffte – angemessen gelehrte Weise.
»Wo ist Abraxas jetzt?« fragte er.
»Nun, angeblich hat man vor ein oder zwei Jahren zwei qualmende Sandalen vor seiner Haustür gesehen«, antwortete Didaktylos. »Vielleicht hat er’s zu weit getrieben.«
»Ich glaube, ich sollte jetzt besser gehen«, sagte Brutha. »Bitte entschuldigt, daß ich so viel von eurer Zeit beansprucht habe.«
»Bring die Rolle zurück, wenn du alles gelesen hast«, sagte Didaktylos.
»Liest man so in Omnien?« fragte Urn.
»Was?«
»Ich meine, hält man die Bücher in deiner Heimat auf dem Kopf?«
Brutha griff nach der Schildkröte, warf Urn einen finsteren Blick zu und verließ die Bibliothek hoch erhobenen Hauptes.
»Hmm«, brummte Didaktylos und trommelte mit den Fingern auf den Tisch.
»Ich habe ihn gestern abend in der Taverne gesehen«, sagte Urn.
»Die Omnianer sind doch im Palast untergebracht.«
»Das stimmt, Meister.«
»Und die Taverne befindet sich außerhalb .«
»Ja.«
»Dann ist er vermutlich über die Mauern geflogen, oder?«
»Ich bin absolut sicher, daß er es gewesen ist, Meister.«
»Vielleicht… vielleicht kam er später. Vielleicht gehörte er nicht zur Hauptgruppe.«
»Das ist ausgeschlossen, Meister. Die Hüter des Labyrinths kann man nicht bestechen.«
Didaktylos hob die Laterne und stieß Urn damit an den Hinterkopf.
»Dummer Kerl! Habe ich dir nicht immer erklärt, wie es um solche Bemerkungen steht.«
»Ich meine, die Hüter des Labyrinths kann man nicht leicht bestechen, Meister. Zum Beispiel: Selbst das ganze Gold von Omnien würde dafür kaum genügen.«
»Schon besser.«
»Glaubst du, diese Schildkröte ist tatsächlich ein Gott, Meister?«
»In dem Fall muß sie in Omnien mit erheblichen Schwierigkeiten rechnen. Mit dem dortigen Gott ist nicht zu spaßen. Hast du den alten Abraxas gelesen?«
»Nein, Meister.«
»Kannte sich mit den Göttern aus. Ein echter Götter-Experte. Roch immer nach angesengtem Haar. Hatte eine erstaunliche Widerstandskraft.«
O m kroch langsam hin und her.
»Geh nicht dauernd auf und ab«, sagte er. »Dadurch kann ich mich überhaupt nicht konzentrieren.«
»Wie ist das möglich?« fragte Brutha die leere Luft. »Weshalb verhalten sich Leute so, als seien sie glücklich, weil sie nichts wissen! Dauernd entdecken sie neue Dinge, die ihnen unbekannt sind! Es ist wie mit Kindern, die stolz ihr volles Töpfchen zeigen!«
Om scharrte mit einer Kralle.
»Wie dem auch sei: Philosophen finden das eine und andere heraus«, sagte er. »Eins steht fest: Dieser Abraxas war ein bemerkenswerter Bursche. Konnte wirklich gut denken. Sein Buch enthält selbst für mich Neues, und ich bin ein Gott. Setz dich!«
Brutha gehorchte.
»Na schön«, murmelte Om. »Und nun… Hör zu. Weißt du, wie Götter mächtig werden?«
»Durch Leute, die an sie glauben«, antwortete Brutha. »Millionen von Menschen glauben an dich.«
Om zögerte.
Na schön, dachte er. Jetzt ist es soweit. Dies ist der richtige Zeitpunkt. Früher oder später findet er es ohnehin heraus…
»Sie glauben nicht«, sagte er.
»Aber…«
»Es ist nicht das erste Mal«, fuhr Om fort. »So etwas ist schon oft passiert. Wußtest du, daß Abraxas die verlorene Stadt Iieeh gefunden hat? Entdeckte dort seltsame Schnitzereien und so. Der Glaube verändert, betont er hier. Die Menschen beginnen mit dem Glauben an einen Gott, und schließlich glauben sie nur noch an die Struktur.«
Brutha runzelte verwirrt die Stirn. »Das verstehe ich nicht.«
»Laß es mich anders ausdrücken«, sagte die Schildkröte. »Ich bin dein Gott,
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