Einfach göttlich
dem Draht. »Nun, ich bin ein wenig wegen der Schraube besorgt. Sie wurde erfunden, um Wasser zu bewegen – und jetzt bewegt sie sich im Wasser.«
»Soll das heißen, sie ist verwirrt?« fragte Simony.
»Bei der Schraube sitzt eine Schraube locker«, kommentierte Didaktylos fröhlich.
Brutha lag in der Spitze des Bootes und blickte ins Wasser. Ein kleiner Tintenfisch schwamm vorbei, dicht unter der Oberfläche. Er fragte sich, zu welcher Spezies das Geschöpf gehörte…
Und plötzlich wußte er: Es war ein Exemplar der Gattung Cephalopoda – Phylum Mollusca, um ganz genau zu sein. Der Tintenfisch hatte kein Skelett, sondern ein inneres Stützgerüst aus Knorpeln. Hinzu kamen ein gut entwickeltes Nervensystem und Augen, die denen von Wirbeltieren ähnelten.
Das Wissen hing einige Sekunden lang im Zentrum von Bruthas Aufmerksamkeit und verblaßte dann.
»Om?« hauchte er.
»Ja?«
»Was machst du?«
»Ich versuche zu schlafen. Schildkröten brauchen viel Schlaf.«
Simony und Urn beugten sich über den philosophischen Motor. Brutha blickte zu dem Gebilde…
… und sah: eine Kugel mit dem Radius r, woraus sich ein Volumen V = (/ 3 )(pi)r 43 und eine Fläche A = 4(pi)r 2 ergaben…
»O mein Gott…«
»Was ist denn jetzt schon wieder?« erklang die geistige Stimme der Schildkröte.
Didaktylos wandte sich halb um, und Brutha preßte beide Hände an den Kopf.
»Was bedeutet ›pi‹?«
Der Philosoph richtete seinen blinden Blick auf den Novizen.
»Was ist mit dir?« fragte Om.
»Ich weiß nicht… Es sind mir unbekannte Worte! Ich habe keine Ahnung, was in den Büchern geschrieben steht! Ich kann nicht lesen!«
»Viel Schlaf ist wichtig«, sagte Om. »Dadurch bekommt man einen guten Panzer.«
Brutha kniete im schwankenden Boot. Er kam sich vor wie ein Hausinhaber, der unerwartet heimkehrte und überall Fremde vorfand, in jedem Zimmer – und sie nahmen dabei keine drohende Haltung ein, sondern beanspruchten einfach nur Platz.
»Wissen leckt aus den Büchern!«
»Wie sollte das möglich sein?« fragte Didaktylos. »Du hast sie nur angesehen, ohne sie zu lesen. Also weißt du gar nicht, was es mit dem Text auf sich hat.«
»Aber die Bücher wissen, worum es in ihnen geht!«
»Jetzt hör mal… Es sind Bücher, beschriebenes Pergament, weiter nichts«, sagte Didaktylos. »Sie zeichnen sich keineswegs durch eine magische Natur aus. Wenn man mit einem kurzen Blick feststellen könnte, was Bücher beinhalten, so wäre mein Neffe längst ein Genie.«
»Was ist los mit ihm?« fragte Simony.
»Er glaubt, zuviel zu wissen.«
»Nein!« widersprach Brutha. »Ich weiß überhaupt nichts! Zumindest nicht wirklich. Ich habe mich nur gerade daran erinnert, daß Tintenfische ein inneres Stützgerüst aus Knorpeln haben!«
»O ja, ich kann mir vorstellen, daß dich so etwas beunruhigt«, meinte Simony. »Priester«, schnaufte er. »Sind alle verrückt.«
»Aber ich weiß doch gar nicht, was Knorpel sind !«
»Hartes Bindegewebe«, erklärte Didaktylos. »Gleichzeitig knöchern und ledrig.«
»Tja, du hast recht: Man lernt nicht aus«, brummte Simony.
»Bei einigen von uns ist es umgekehrt«, sagte Didaktylos.
»Wie bitte?«
»Philosophie.« Didaktylos winkte ab. »Setz dich Junge. Sonst schwankt das Boot noch heftiger. Wir sind überladen, und daher ist besondere Vorsicht angebracht.«
»Der Auftrieb des Bootes ist gleich dem Gewicht des verdrängten Wassers«, sagte Brutha und nahm Platz.
»Hmm?«
»Aber ich weiß nicht, was ›Auftrieb‹ bedeutet.«
Urn hob den Kopf. »Alles klar.« Und zum Feldwebel: »Nimm deinen Helm und füll Wasser in die Kugel.«
»Setzen wir die Reise fort?«
»Nun, zunächst müssen wir wieder Dampf bekommen.« Urn wischte sich die Hände an der Toga ab.
»Es gibt verschiedene Methoden des Lernens«, ließ sich Didaktylos vernehmen. »In diesem Zusammenhang fällt mir Fürst Lasgere von Tsort ein. Er fragte mich damals, wie er zu einem Gelehrten werden könnte, ohne daß er Zeit mit Lesen und so vergeuden müßte. Ich antwortete: ›Es gibt keine fürstliche Straße zur Weisheit, Herr.‹ Woraufhin er erwiderte: ›Dann bau mir eine, wenn du nicht möchtest, daß dir die Beine abgehackt werden.‹ Immer offen und direkt, der Fürst. Nahm nie ein Blatt vor den Mund. Wissen und Weisheit waren ihm wichtig – zumindest wichtiger als das Leben seiner Untertanen.«
»Warum hat er dir nicht die Beine abgehackt?« fragte Urn.
»Ich habe ihm die Straße gebaut. Mehr oder
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