Einfach göttlich
Eigenschaft spielt beim göttlichen Überleben keine wichtige Rolle. Es genügt, beschwatzen, bedrohen und erschrecken zu können. Wenn man einfach nur mit den Fingern schnippen muß, damit ganze Städte in Schutt und Asche liegen, so braucht man nur selten in sich zu gehen und zu versuchen, die Dinge aus einer anderen Perspektive zu sehen.
Woraus sich ergab: Überall im Multiversum geschah es, daß mit hoher Intelligenz und jeder Menge Mitgefühl ausgestattete Männer und Frauen ihr ganzes Leben Göttern widmeten, die ihnen selbst bei einem einfachen Dominospiel unterlegen gewesen wären. Nehmen wir zum Beispiel Schwester Sestina von Quirm. Sie trotzte dem Zorn eines Königs, wanderte über glühende Kohlen, ohne sich dabei zu verletzen, und verkündete eine Philosophie, die aus vernünftigen ethischen Grundsätzen bestand – im Namen einer Göttin, die sich nur für Frisuren interessierte. Oder Bruder Zephilit aus Klatsch. Er gab sein gewaltiges Vermögen und die Familie auf, verbrachte den Rest des Lebens damit, sich um Kranke und Notleidende zu kümmern. Auf diese Weise diente er dem unsichtbaren Gott F’rum, der in der astralen Sphäre als inkompetent galt. Man sagte ihm nach, er sei nicht einmal dann imstande, den eigenen Rücken zu finden, wenn er mit beiden Händen danach suchte – vorausgesetzt natürlich, daß er überhaupt einen Rücken und Hände hatte. Götter müssen nicht intelligent sein, solange das die Menschen für sie übernehmen.
Die Königin des Meeres galt selbst bei den übrigen Göttern als ziemlich dumm. Aber ihren Gedanken haftete eine gewisse Logik an, als sie tief unter den sturmgepeitschten Wellen dahinglitt. Das kleine Boot war ein verlockendes Ziel gewesen, doch jetzt gab es ein viel größeres, ein Schiff voller Menschen, das geradewegs in den Orkan segelte.
Sie hielt es für fair, alle Opfer zu beanspruchen, die sie bekommen konnte. Die Meereskönigin vergaß das Boot und wandte sich dem Schiff zu, das sie mit Quantität lockte.
D ie Gottesflosse sprang von Wellenkamm zu Wellenkamm, während heftige Böen an den Segeln zerrten. Der Kapitän stapfte durch fast hüfthohes Wasser zum Bug, wo Vorbis stand, sich an der Reling festklammerte und überhaupt nicht zu merken schien, daß sich ein immer größerer Teil des Seglers unter dem Meeresspiegel befand.
»Herr! Wir müssen die Segel reffen! Der Wind ist viel zu stark!«
Grünes Feuer flackerte an den Mastspitzen, und das Licht spiegelte sich in Vorbis’ dunklen Augen wider, als er sich umdrehte.
»Wir setzen die Fahrt wie bisher fort, zum Ruhme Oms«, sagte er. »Der Glaube ist unser Segel, Glorie unser Ziel.«
Dem Kapitän reichte es. Von Religion wußte er nicht sehr viel, aber er war davon überzeugt, daß er sich nach dreißig Jahren immerhin mit dem Meer auskannte.
»Der Grund des Ozeans ist unser Ziel!« rief er.
Vorbis zuckte mit den Schultern. »Der eine oder andere Umweg ist nicht ausgeschlossen«, erwiderte er.
Der Kapitän starrte ihn groß an und stapfte dann übers schwankende Deck zurück. Er wußte eins: Zu solchen Stürmen kam es nicht einfach so. Man segelte nicht im einen Augenblick über eine ruhige See, um im nächsten in einen Orkan zu geraten. Dies war nicht das Meer, sondern etwas Persönliches.
Ein Blitz traf den Großmast. In der Dunkelheit ertönte ein Schrei, als ein Segel riß und Takelage herabfiel.
Der Kapitän schwamm und kletterte die Treppe zum Steuerrad hoch. Oben zeigte sich der Steuermann als Schemen im gespenstischen Glühen des Sturms, von sprühender, zischender Gischt umgeben.
»Wir sind erledigt!«
JA.
»Wir müssen das Schiff verlassen!«
NEIN. WIR NEHMEN ES MIT. ES IST EIN HÜBSCHES SCHIFF.
Der Kapitän spähte in die Finsternis.
»Bist du das, Bootsmann Coplei?«
MÖCHTEST DU NOCH EINMAL RATEN?
Der Rumpf stieß an einen dicht unter den Wellen verborgenen Felsen und brach auf. Ein Blitz traf den zweiten Mast, und daraufhin fiel die Gottesflosse auseinander, wie ein Papierschiffchen, das zu lange im Wasser gewesen ist. Balken und Planken splitterten, warfen sich dem heulenden Himmel entgegen…
Und dann herrschte plötzlich samtene Stille.
Der Kapitän prüfte seine jüngsten Erinnerungen, die Wasser, lautes Rauschen in den Ohren und kaltes Feuer in den Lungen mit einschlossen. Diese Eindrücke verflüchtigten sich rasch. Er ging zur Reling – in der Stille klangen seine Schritte lauter als sonst – und sah darüber hinweg. Sein Gedächtnis behauptete, daß die
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