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Eiszeit

Eiszeit

Titel: Eiszeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias P. Gibert
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fasste er hinter seinen Rücken, griff nach der Türklinke, zog sie zu sich heran und drehte sich dabei langsam um. Mit schief gelegtem Kopf beäugte er den Mann, der mit einer Waffe in der einen und einer Taschenlampe in der anderen Hand auf seinen Schlafplatz zusteuerte. Sobald er das Lager entdeckt hatte, würde er Alarm schlagen, das war Sjomin klar. Damit wäre er geliefert.

     
    *

     
    Der Impuls loszulaufen kam ohne Vorwarnung. Er wusste, dass die Geschichte ein böses Ende nehmen würde, wenn die Männer ihn auf dem Hof erwischen sollten. Also rannte er. Ohne nach rechts oder links zu sehen und mit wild schleudernden Armen katapultierte er sich aus seinem Versteck hinter der Tür und war schon vier oder fünf Meter weit gekommen, bevor der Mann ihn wahrgenommen hatte. Dann jedoch hob er ohne zu zögern die Waffe und feuerte. Es machte leise Plop , ein kurzer Blitz erhellte die Szenerie und im gleichen Moment gab es ein hässliches Klatschen direkt über Sjomins Kopf. Der rannte weiter, rannte so schnell er konnte und war währenddessen überrascht, dass seine Beine überhaupt so gut funktionierten. Dann war er an der Schranke, lief links daran vorbei um die Hausecke herum, Richtung Wilhelmshöher Allee, hinein ins Licht.
    150 Meter weiter stadtauswärts gab es einen kleinen Park mit ein paar Bäumen und einer Bank in der Mitte. Er rannte über das feuchte Gras, sprang hinter eine der Kastanien und blickte sich keuchend um, doch da war niemand. Er sah auf der anderen Seite des Baumes vorbei, aber es war ihm tatsächlich niemand gefolgt. Hastig wischte er sich den Schweiß von der Stirn, schnaufte ein paar Mal durch und fing an zu husten. Er hustete und starrte gleichzeitig mit weit aufgerissenen Augen in die Richtung, aus der er gekommen war.

     
    *

     
    Eine Stunde danach war er über Schleichwege und kleine Seitenstraßen am Fluss angekommen. Dort ging er Richtung Sandershausen , ließ den Ort jedoch rechts liegen und marschierte, noch immer zitternd, weiter. Zwischen Sandershausen und Spiekershausen bog er auf einen Waldweg, lief noch etwa einen Kilometer bergauf und stoppte kurze Zeit später. Im fahlen Mondschein und unter dem leisen Rascheln der Blätter blickte er sich um, stapfte ein paar Meter ins Unterholz, kniete sich hin und schob ein vermodertes Stück Holz zur Seite. Mit den blanken Händen wühlte er den Boden auf, bis er auf einen großen, schwarzen Abfallbeutel stieß. Mit fliegenden Fingern riss er daran, zog ihn aus dem Versteck und knotete ihn auf. In dem Beutel steckte ein weiterer Beutel, den er ebenfalls öffnete, einen alten Schlafsack und eine Decke hervorkramte und neben sich legte. Dann streckte er sich, griff unter sein Hemd und zog den Umschlag heraus, den der Italiener ihm, ohne es zu ahnen, vor die Füße geschleudert hatte. Als die Papiere verstaut waren, knotete er die beiden Säcke wieder ineinander, schob sie in das Loch und bedeckte das Ganze mit Erde sowie dem vermoderten Holzstück.

21
    Heinrich Lappert stöhnte leise auf. Die Schmerzen in seinem Gesicht wurden unerträglich. Seit mehr als einer halben Stunde versuchte seine Frau, sich von dem Kabelbinder an ihren Handgelenken im Rücken zu befreien, aber bis auf eine schmerzende Fleischwunde hatte sie bisher keinen Erfolg gehabt. Anfangs hatten die beiden versucht, sich gemeinsam zu erheben, doch das scheiterte an seiner Schwäche und den Schmerzen in seinem Gesicht. So lagen sie noch immer nebeneinander auf dem Bett, gefesselt mit Paketband am Hals und an den Füßen. Wieder unternahm Veronika Lappert einen Versuch, das Plastikband um ihre Handgelenke zu dehnen und wieder schob sie nur ein paar Hautfetzen vom Fleisch. Entkräftet sackte sie zusammen.
    »So schwer es dir auch fällt, Heinrich, wir haben nur eine Möglichkeit. Wir müssen uns gemeinsam vom Bett fallen lassen und zur Kommode krabbeln. Da liegt meine Nagelschere in der Schublade, mit der können wir uns befreien.«
    Er machte die Andeutung eines Kopfschüttelns. »Das geht nicht, Veronika. Ich kann mich wirklich nicht bewegen.«
    »Du musst es versuchen. Wir müssen ins Krankenhaus, du brauchst einen Arzt. Bestimmt kann man etwas machen, aber es muss bald geschehen. Bitte, hilf mit, sonst geht es nicht.«
    »Hör auf, solchen Unsinn zu reden. Dieses Schwein hat mein Gesicht tätowiert, das hast du doch gesehen. Tätowiert, verstehst du!«
    »Und wenn du noch so laut brüllst, hier auf dem Bett können wir gar nichts tun. Also bitte, hilf mit.«
    Er

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