Eiszeit
seufzte resignierend. »Also, gut. Aber nicht vorwärts, da fallen wir nur und tun uns noch mehr weh. Lass uns nach hinten rutschen und versuchen, auf die Füße zu kommen.«
»Das machen wir. Los!«
Mit den Beinen strampelnd, kämpften sie sich Zentimeter um Zentimeter zum Rand des Bettes, doch ihre Bewegungen waren nicht koordiniert genug.
»Warte, warte«, forderte er mit schmerzverzerrtem Gesicht. »So kommen wir nicht weiter. Wir müssen besser zusammenarbeiten.«
»Das haben wir doch immer gut gekonnt. Also, sag mir, was ich tun soll«, erwiderte sie.
Er erklärte ihr, wie es nach seiner Meinung am besten gehen würde, und sie starteten einen weiteren Versuch, diesmal mit größerem Erfolg. Langsam, aber stetig kamen sie der Bettkante näher, bis beide mit den Füßen den Boden berührten.
»Und jetzt?«, wollte sie wissen.
»Jetzt müssen wir irgendwie aufstehen. Wir können unmöglich zusammen bis zur Kommode robben.« Er tastete erneut nach dem Boden. »Dieser fiese Kerl hat uns mit den Füßen zueinander zusammengebunden. Ich habe keine Ahnung, wie wir jetzt aufstehen sollen.«
»Warte. Wenn wir zusammen in die Knie gehen und unsere Knie sich dabei kreuzen, könnte es klappen.«
Sie spannte den Körper, bugsierte ihr rechtes Knie zwischen seine und sank langsam nach unten. »Stimmt, das ist gut«, gab er zu. »Wenn wir unten sind, versuchen wir aufzustehen.«
Ein paar Augenblicke später standen sie aufrecht im dunklen Zimmer. »Und jetzt?«, fragte sie.
»Jetzt müssen wir tanzen«, ächzte er. »Wir machen ganz langsame Bewegungen.«
Vorsichtig, mit trippelnden Schritten und endlos langsam kämpften sie sich Millimeter um Millimeter vorwärts. Etwa in der Mitte des Doppelbettes kamen sie für einen Augenblick aus dem Gleichgewicht und drohten zu stürzen, fingen sich jedoch im letzten Moment.
»Oh Gott«, flüsterte sie.
»Lass den aus dem Spiel. Der hat uns in dieser Nacht verlassen.«
*
Es dauerte fast 15 Minuten, dann waren sie schweißgebadet an der Spiegelkommode angekommen. Veronika Lappert zog an der oberen Schublade, die sich quietschend öffnete. Ihr Mann stöhnte vor Schmerzen.
»Einen Moment noch, Heinrich, dann haben wir es.«
Mit zitternden Fingern tastete sie nach der kleinen Schere, bekam sie zu fassen, nahm sie aus der Lade und verlor sie im gleichen Augenblick aus den feuchten Fingern. Mit einem lauten Poltern schlug sie auf dem Boden auf.
»Sag mir, dass das nicht wahr ist«, stöhnte Heinrich Lappert , dessen Gesicht mittlerweile blutüberströmt war.
»Kein Problem. Wir gehen wieder in die Knie, suchen nach der Schere und legen uns hin. Im Liegen kann ich sowieso besser versuchen, die Fessel zu zerschneiden.«
»Langsam müssen wir es schaffen, sonst habe ich Angst, dass mir schwarz vor Augen wird. Mach schnell, wenns geht.«
»Ich tue mein Bestes«, erwiderte sie und schob sich wie eine Twisttänzerin in die Knie, immer darauf bedacht, ihn mitzuziehen und trotzdem nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Dann lagen sie auf dem Boden und sie versuchte, die Schere in eine Position zu bringen, in der es ihr möglich war, den Kabelbinder zu zerschneiden. Ein ums andere Mal rutschte sie ab und einmal glitt ihr die Schere wieder aus den Fingern. Dann jedoch hatte sie eine Stellung gefunden, die Erfolg versprechend schien, und nach ein paar weiteren Versuchen sprang die Fessel auf. Sie atmete tief ein, stieß einen Freudenschrei aus und zog die Arme vor die Brust.
»Ich habs geschafft, Heinrich.«
Heinrich Lappert wusste nicht, ob er sich darüber freuen sollte.
»Mach mich bitte los, Vroni.«
*
Kurze Zeit später beugte Veronika Lappert sich mit einem alkoholgetränkten Wattepad in der Hand über das Gesicht ihres Mannes.
»Wie sieht es aus?«, wollte er wissen.
»Ich kann es dir nicht sagen, da ist so viel Blut. Aber ich weiß nicht, ob ich was falsch mache, wenn ich da jetzt mit Alkohol drangehe. Vielleicht ist das ja völlig verkehrt?«
»Ich glaube nicht, dass du etwas falsch machen kannst. Lass uns sehen, was diese Schweine mir angetan haben. Also fang einfach an.«
Mit einer zaghaften Bewegung näherte sich ihre Hand seinem Gesicht, tupfte vorsichtig mit der Watte über die linke Wange und stockte. »Warte, ich kann nicht genug sehen.«
Damit stand sie auf, ging zu ihrem Nachtschränkchen, zog die darauf stehende Lampe aus der Steckdose, steckte sie in einen Anschluss neben ihrem Mann, drückte auf den Schalter und wich erschrocken
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