Elfenkuss
rang, begriff Laurel, was geschehen war.
Was habe ich getan?
»Es tut mir so leid«, flüsterte er. »Ich wollte nicht …«
»Psst.« Laurel legte ihre Finger auf seine Lippen. »Das war okay.« Sie ließ ihn nicht los, und da sie nichts dagegen zu haben schien, beugte David sich wieder vor.
Erst im letzten Augenblick legte Laurel eine Hand auf seine Brust und wehrte ihn ab. Sie schüttelte den Kopf und holte tief Luft. »Ich kann nicht sagen, ob das, was ich fühle, nur meine Panik ist oder …« Sie machte eine Pause. »Ich kann das so nicht, David. Nicht bei diesem ganzen Durcheinander.«
Er zog sich langsam zurück und schwieg sehr lange. »Dann werde ich warten«, sagte er kaum hörbar.
Laurel nahm ihren Rucksack und sagte überflüssigerweise: »Ich gehe besser nach Hause.«
Davids Blick folgte ihr durch den Raum.
Sie schaute sich noch einmal um, bevor sie sein Zimmer verließ und die Tür hinter sich zuzog.
In Biologie setzte Laurel sich auf ihren angestammten Platz, ohne jedoch die Bücher herauszuholen. Sie saß kerzengerade da und spitzte die Ohren, um Davids vertrauten Gang zu erlauschen. Dennoch fuhr sie zusammen, als er seinen Rucksack auf den Tisch neben ihr legte. Sie zwang sich, zu ihm hochzublicken, doch statt des erwarteten verkrampften Misstrauens fand sie ein strahlendes Lächeln und vor Aufregung gerötete Wangen. »Ich habe gestern noch lange gelesen«, sagte er anstelle einer Begrüßung. »Ich habe da so eine Theorie.«
Theorie? Wollte sie die wirklich hören? Im Gegenteil, irgendwas in seiner Miene ließ sie ziemlich sicher sein, dass sie nichts davon wissen wollte.
Er schlug das Buch auf und schob es zu ihr rüber.
»Eine Venusfliegenfalle? Also du weißt wirklich, wie man nett zu Mädchen ist.« Sie wollte ihm das Buch zurückschieben, aber er legte beide Hände darauf und hielt es fest.
»Hör mir nur eine Sekunde zu. Ich behaupte nicht, dass du eine Venusfliegenfalle bist. Aber lies mal den Abschnitt über ihre Essgewohnheiten.«
»Sie ist fleischfressend, David.«
»Technisch gesehen, ja, aber du musst lesen, warum.«
Er schwenkte die Finger über die Abschnitte, die er mit grünem Textmarker markiert hatte. »Fliegenfallen wachsen am besten in nährstoffarmem Boden – normalerweise enthält dieser Boden nur wenig Stickstoff. Sie fressen Fliegen, weil Fliegenkörper viel Stickstoff, aber kein Fett und Cholesterin enthalten. Es geht nicht um das Fleisch, sondern um die Nährstoffe, die sie braucht.« Er blätterte um. »Guck hier, da steht, wie man eine Venusfliegenfalle ernährt, die man als Zimmerpflanze hält. Viele Leute füttern sie mit kleinen Brocken von Hamburgern oder Steaks, weil sie, genau wie du eben, denken: ›Ach, die ist ja fleischfressend.‹ In Wirklichkeit bringt man eine Venusfliegenfalle mit Hamburgern eher um, weil Hamburger viel Fett und Cholesterin enthalten, was von der Pflanze gar nicht verdaut werden kann.«
Laurel starrte nur entsetzt auf das Bild der monstermäßig schrecklich aussehenden Pflanze und fragte sich, wie in aller Welt David annehmen konnte, sie wäre ihr ähnlich. »Ich kann dir nicht folgen«, sagte sie geradeheraus.
»Die Nährstoffe, Laurel. Du trinkst keine Milch, oder?«
»Nein.«
»Und warum nicht?«
»Weil mir davon schlecht wird.«
»Wetten, dass dir davon schlecht wird, weil sie Fett und Cholesterin enthält? Was trinkst du denn stattdessen?«
»Wasser. Limo.« Sie dachte nach. »Und den Sirup in den Dosenpfirsichen meiner Mom. Das war’s aber auch.«
»Wasser und Zucker. Gibst du auch manchmal ein bisschen Zucker zum Blumenwasser, damit sie länger halten? Blumen lieben das, sie saugen ihn direkt auf.«
Davids Erklärung war nur allzu schlüssig. Laurel bekam Kopfschmerzen. »Und warum esse ich dann keine Fliegen?«, fragte sie beißend, während sie sich die Schläfen rieb.
»Die sind wahrscheinlich zu klein, um viel zu bringen. Jetzt denke mal darüber nach, was du so isst. Rohes Obst und Gemüse. Pflanzen, die in der Erde gewachsen sind und all die Nährstoffe mit ihren Wurzeln aufgesaugt haben. Wenn du sie dann isst, bekommst du die gleichen Nährstoffe, wie wenn du selbst Wurzeln hättest.« Laurel schwieg und dann rief Mr James die Klasse zur Ordnung. »Du glaubst also immer noch, dass ich eine Pflanze bin?«, flüsterte Laurel.
»Eine unglaublich hoch entwickelte, fortschrittliche Pflanze«, erwiderte David. »Aber ja, eine Pflanze.«
»Scheiße.«
»Finde ich nicht«, sagte David grinsend.
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