Emil oder Ueber die Erziehung
auf kurze Zeit eine unnatürliche Lage ein, so zwingt sie doch der Schmerz, dieselbe bald wieder zu ändern.
Wir sind noch nie auf den Einfall gerathen, die jungen Hunde oder Katzen in ein Stechkissen einzuschnüren: zeigt sich aber wol, daß diese Vernachlässigung irgend einen Nachtheil für sie herbeiführt? Die Kinder sind schwerfälliger, das stelle ich nicht in Abrede; dafür sind sie aber auch verhältnißmäßig schwächer. Sie vermögen sich ja kaum zu rühren, wie sollten sie sich also Schaden zufügen können? Legte man sie auf den Rücken, so würden sie, außer Stande sich umzuwenden, in dieser Lage wie die Schildkröte sterben müssen.
Aber noch nicht zufrieden damit, daß sie ihre Kinder nicht mehr stillen, gehen die Frauen in ihren Wünschen sogar so weit, gar keine Kinder mehr zu bekommen: die Folge davon ist nur zu natürlich. Sind der Mutter ihre Pflichten erst lästig, dann findet man auch bald Mittel, sie gänzlich von sich abzuschütteln. Man wünscht seine eheliche Pflicht so zu erfüllen, daß man keine Frucht zu befürchten braucht, um sich beständig dem Genusse hingeben zu können, und mißbraucht den zur Vermehrung des Geschlechts eingepflanzten Trieb. Diese Unsitte, an welche sich noch andere Ursachen der Entvölkerung reihen, deutet uns das Schicksal an, welches Europa bevorsteht. Die Wissenschaften, die Künste, die Philosophie und die Sitten, welche es hervorruft und erzeugt, werden es früher oder später in eine Wüste verwandeln. Es wird von wilden Thieren bewohnt werden: der Unterschied hinsichtlich seiner Bevölkerung wird nicht sehr in die Augen fallen.
Zu wiederholten Malen habe ich Gelegenheit gehabt die kleinen Kunstgriffe junger Frauen zu beobachten, welche sich stellen, als ob sie ihre Kinder selbst stillen wollen. Sie verstehen es so vortrefflich einzurichten, daß sie nur dem Zwange nachzugeben scheinen, wenn sie von ihrem Vorhaben abstehen; unendlich fein wissen sie es so zu drehen, daß die Gatten, die Aerzte, besonders aber die Mütter, Einspruch dagegen erheben müssen. Wehe dem Manne, deres wagen sollte zu gestatten, daß seine Frau ihr Kind selbst stillte; er wäre ein verlorener Mann! Man würde ihn überall als einen Mörder verschreien, der sie aus dem Wege räumen wolle. Kluge Gatten, ihr müßt die väterliche Liebe dem Frieden zum Opfer bringen. Ein glücklicher Umstand ist es, daß man auf dem Lande doch Frauen findet, die enthaltsamer als die eurigen sind. Ein noch glücklicherer Umstand würde es für euch sein, wenn eure Frauen die Zeit, welche sie dadurch gewinnen, nicht mit Anderen vertändeln.
Die Pflicht der Frauen ihren Kindern gegenüber ist keinem Zweifel unterworfen; weil sie sich derselben jedoch entziehen, so läßt sich die Frage auswerfen, ob es für die Kinder einerlei sei, von der mütterlichen Milch oder der einer anderen Frau genährt zu werden. Da die Entscheidung über diese Frage einzig und allein den Aerzten [15] zukömmt, halte ich sie für endgiltig und offenbar zu Gunsten der Frauen entschieden. Auch meiner Ueberzeugung nach ist es unbestritten besser, daß das Kind die Milch einer gesunden Amme, als die einer verdorbenen Mutter trinkt, sobald sich nur irgend wie die Entstehung eines neuen Uebels aus dem Blute, dem es sein Dasein zu verdanken hat, befürchten ließe.
Soll denn aber diese Frage nur von der physischen Seite aus betrachtet werden? Und bedarf denn das Kind weniger der treuen Pflege einer Mutter als ihrer Brust? Andere Frauen, Thiere sogar, werden ihm die Milch, welche sie ihm entzieht, geben können, für die mütterliche Sorgfalt findet sich jedoch kein Ersatz. Wer ein fremdes Kind statt seines eigenen nährt, kann nur eine schlechte Mutter sein; wie sollte eine solche nun eine gute Amme sein? Sie wird es werden können, aber freilich nur langsam; die Gewohnheit wird allmählich die Natur verändern müssen, unddas schlecht gepflegte Kind wird hundertmal umkommen können, ehe seine Amme die Zärtlichkeit einer Mutter für dasselbe empfindet.
Aber sogar wenn diese günstige Wendung endlich eintritt, dient sie nur zur Quelle eines neuen Uebelstandes, der allein schon jeder fühlenden Frau den Muth rauben sollte, ihr Kind von einer andern säugen zu lassen, der nämlich, daß sie das heilige Mutterrecht theilen oder vielmehr ganz auf dasselbe verzichten muß, mit ansehen muß, wie ihr Kind eine fremde Frau eben so sehr oder gar noch mehr liebt als sie; empfinden muß, daß die Zärtlichkeit, welche es seiner eigenen
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