Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Titel: Empfindliche Wahrheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
Vom Netzwerk:
»Gab offen gestanden nicht viel, was sich retten ließ, bei der Sauerei, die der arme Mensch angerichtet hatte. Und alles ohne einen Tropfen Alkohol zum Anschieben, was anscheinend sehr ungewöhnlich ist. Aber so war Jeb nun mal. Der ließ sich nicht gehen. Konsequent bis zum Letzten.«
    »Und auch kein Abschiedsbrief?«
    »Nur die Pistole in seiner Hand und noch acht Kugeln im Magazin – fragt sich, was er mit dem Rest anstellen wollte, nachdem er sich erschossen hatte«, erläuterte Harry im gleichen auskunftsfreudigen Ton. »Und die falsche Hand hat er auch noch benutzt. Warum?, fragt man sich da. Aber auf so was gibt’s natürlich keine Antwort. Gibt’s nicht und wird’s nie geben. Er war Linkshänder, müssen Sie wissen. Aber erschossen hat er sich mit der Rechten, was man ja wohl als abnormal werten könnte. Aber Jeb war ein Profi im Schießen. Musste er ja auch, bei dem Beruf. Wenn Jeb gewollt hätte, dann hätte er sich sogar mit dem Fuß erschießen können, nach dem, was ich von Brigid so höre. Und wenn ein Mensch überhaupt erst mal an diesen Punkt gelangt, setzt das rationale Denken ja sowieso aus. Das hat die Polizei gesagt, völlig richtig aus meiner Sicht, wobei ich natürlich alles andere als ein Experte bin.«
    Toby hatte auf halber Höhe eine Delle im Holz entdeckt, so breit wie ein Tennisball, aber nicht so tief, und fuhr ihren Umriss mit dem Finger nach.
    »Ja, sehen Sie«, erklärte Harry, »so eine Kugel muss natürlich irgendwohin, eigentlich logisch, auch wenn man bei manchen von diesen heutigen Filmen gar nicht draufkäme. Kann sich ja schließlich nicht einfach in Luft auflösen, so ein Ding. Ich hab gesagt, schmieren wir Moltofill rein, schmirgeln es ab, streichen drüber, und mit etwas Glück fällt’s keinem auf.«
    »Und seine Werkzeuge? Für die Lederwaren?«
    »Tja, eine ganz dumme Sache, das mit dem Werkzeug von seinem Vater, Toby, und auch mit dem Bootsherd, so ein echter, alter, der hatte einen ziemlichen Wert. Als Erstes vor Ort war die Feuerwehr, fragen Sie mich nicht, warum, anscheinend hat irgendwer sie gerufen. Dann die Polizei, dann der Notarzt. So dass wir nicht wissen, wer da lange Finger gemacht hat, verstehen Sie? Nicht die Polizei, da bin ich sicher. Ich hab den größten Respekt vor unseren Gesetzeshütern, mehr als Brigid, offen gesagt, wo sie ja auch noch selber bei der Polizei war. Aber das ist eben Irland, schätze ich mal.«
    Toby nickte.
    »Er hat’s mir nie verübelt, das muss ich sagen. Gut, mit welchem Recht auch, schließlich kann man von einer Frau wie Brigid nicht verlangen, dass sie einfach auf dem Trockenen sitzt, oder? Und ich bin gut zu ihr, was man von Jeb nicht zu jeder Zeit behaupten konnte, mal unter uns gesagt.«
    Gemeinsam schlossen sie die Heckklappe, breiteten die Plane wieder über den Bus, spannten die Zeltleinen neu.
    »Ich glaube, Brigid wollte mich noch mal kurz sprechen, ehe ich fahre«, sagte Toby. Und als lahme Begründung: »Irgendetwas wegen Paul, was Privates, meinte sie.«
    »Tja, sie ist ihr eigener Herr, wie wir alle«, sagte Harry frohgemut und tätschelte Toby kameradschaftlich den Arm. »Sie dürfen bloß nicht zu genau hinhören, wenn sie über die Polizei lästert. Irgendwer muss immer als Sündenbock herhalten bei solchen Sachen, so ist der Mensch nun mal. Nett, Sie kennenzulernen, Toby, sehr anständig von Ihnen, dass Sie gekommen sind. Und verstehen Sie das nicht falsch, ich weiß, es ist frech von mir, aber falls Ihnen rein zufällig, ich meine, man kann ja nie wissen, jemand übern Weg läuft, der Interesse an einem guterhaltenen, hochwertig ausgebauten Campingbus hat – dann wissen Sie, wo Sie ihn hinschicken können, ja?«
    ***
    Brigid saß in der Sofaecke, die Arme um die hochgezogenen Knie gelegt.
    »Ist Ihnen was aufgefallen?«, fragte sie.
    »Hätte es das sollen?«
    »Das mit dem Blut ergab keinerlei Sinn. Die ganze hintere Stoßstange war voll damit. Aus der Arterie gespritzt, haben sie gesagt. ›Wie zum Teufel soll das gehen?‹, hab ich sie gefragt. ›Durch das Scheißfenster raus und um die Kurve?‹ ›Sie sind überreizt, Mrs. Owens. Überlassen Sie das Ermitteln uns und trinken Sie eine schöne Tasse Tee.‹ Dann kam so ein anderer Typ zu mir, einer von den Londonern, in Zivil und mit hochgestochenem Akzent: ›Nur zu Ihrer Beruhigung, Mrs. Owens, das auf der Stoßstange war kein Blut von Ihrem Mann. Es ist Mennige. Ihr Mann hat wohl etwas an dem Wagen repariert.‹ Das Haus haben sie übrigens auch

Weitere Kostenlose Bücher