Engelsrache: Thriller
einsitzen musste. Dort konnte ich ohne Weiteres hinfahren und versuchen, die Dinge zwischen uns wieder in Ordnung zu bringen. Eigentlich hatte ich das längst vorgehabt, es jedoch aus Angst, dass wir uns nur gegenseitig Vorwürfe machen würden, wieder verworfen.
Richter Glass war streitsüchtig wie eh und je und beschimpfte die anwesenden Strafverteidiger oder Angeklagten nach Lust und Laune. Eine Frau im Zuschauerraum hatte vergessen, ihr Handy auszustellen, und als es plötzlich anfing zu schrillen, wurde sie von Glass nach vorn beordert. Dort rügte er sie so brutal, dass sie zu weinen anfing.
Zwanzig Minuten, nachdem ich Platz genommen hatte, wurde Sarahs Fall aufgerufen. Ein Aufseher führte sie herein. Sie wirkte in ihrem weiten Overall klein und zerbrechlich, und ich fand ihre Handschellen und Fußfesseln völlig überflüssig. Sie ging mit tippelnden Schritten zu dem Podest, blieb dann stehen und blickte zu Boden.
»Der Staat Tennessee gegen Sarah Dillard«, sagte Richter Glass. Er sah die Staatsanwältin Lisa Mays an. »Ist das Mr Dillards Schwester?«
»Ja, Euer Ehren.«
Ich hoffte, dass Glass seine Abneigung gegen mich nicht zum Vorwand nehmen würde, um Sarahs Vereinbarung mit der Staatsanwaltschaft zu verwerfen und meine Schwester zu einer härteren Strafe zu verurteilen. Deshalb machte ich mich auf meinem Stuhl so klein wie möglich.
»Sie hat das Auto von Mr Dillards Tochter gestohlen und eine Halskette, die Mr Dillards Frau gehört hat«, sagte May. »Die Halskette hat sie gegen Kokain versetzt und das Auto zu Schrott gefahren.«
»Dann ist sie also eine notorische Diebin«, sagte Glass. »Sie bestiehlt sogar ihre eigenen Verwandten. Wie ist sie an die Autoschlüssel gekommen? Ist sie etwa bei ihren Verwandten eingebrochen?«
»Nein, Euer Ehren. Meines Wissens war sie erst kurz vorher aus dem Gefängnis entlassen worden, und Mr Dillard hatte sie bei sich aufgenommen. Er wollte ihr helfen. Und das war nun ihr Dank.«
Ich hoffte, dass Glass sich mit dem üblichen Prozedere begnügen und sonst keine Fragen mehr stellen würde. Eine Standardsituation, wie er sie jedes Jahr mehrere hundert Mal erlebte.
»In der Klageschrift heißt es, dass der Frau zwei schwere Straftaten zum Vorwurf gemacht werden«, sagte Glass. »Ich habe mir gestern Abend ihre Akte angeschaut. Die Angeklagte ist seit zwanzig Jahren als notorische Diebin und Drogenkonsumentin bekannt. Wieso haben Sie sich auf eine so geringe Gesamtstrafe eingelassen?«
»Weil der Geschädigte darum ersucht hat, Euer Ehren. Das machen wir immer so.«
»Wollen Sie damit sagen, dass Mr Dillard darum ersucht hat, die Angeklagte wegen dieser beiden Delikte nur drei Jahre einzusperren? Nach allem, was sie schon angestellt hat?«
»Ja, Sir.«
»Wo ist er?«
»Wahrscheinlich irgendwo bei Gericht.«
»Dann lassen Sie ihn herkommen. Ich will mit ihm reden.«
Ich stand mit hochrotem Kopf von meinem Stuhl auf und ging nach vorn.
»Hier bin ich, Herr Richter.«
»So, so, Mr Dillard, schön, dass Sie gekommen sind, vor allem, da Sie es wieder mal geschafft haben, das gesamte Rechtssystem auszuhebeln.«
»Ich habe gar nichts ausgehebelt«, sagte ich. Lisa Mays schien überrascht, mich zu sehen. Sarah sah mich hoffnungsvoll an. Ich blieb rechts neben dem Verteidigertisch stehen. »Ich möchte bloß verhindern, dass meine Schwester eine sehr hohe Strafe erhält. Schließlich ist das hier ihre erste schwere Straftat.«
»Ihre erste Verurteilung wegen einer schweren Straftat«, sagte Richter Glass. »Ihre Schwester hat sich bereits in der Vergangenheit dreimal einer schweren Straftat schuldig gemacht. Sie ist jedoch vom Gericht in allen drei Fällen lediglich wegen eines Vergehens belangt worden. Haben Sie das vielleicht eingefädelt, Mr Dillard?«
»Soll das ein Vorwurf sein?«
»Ganz recht. Mein Vorwurf lautet, dass Sie das Recht zugunsten eines Mitglieds Ihrer Familie sehr großzügig ausgelegt haben.«
»Und würden Sie sich etwa anders verhalten?«
»Passen Sie auf, was Sie hier sagen, sonst belange ich Sie wegen Missachtung des Gerichts.«
»Die Staatsanwaltschaft und meine Schwester sind, wie es scheint, zu einer Vereinbarung gelangt, die beide Seiten für fair halten«, sagte ich. »Ich habe damit nichts zu tun. Ich habe Miss Mays lediglich wissen lassen, dass ich nicht auf der Höchststrafe bestehe. Meine Schwester wird auch unter diesen Umständen mindestens ein Jahr in Haft verbringen.«
»Ich möchte Sie etwas fragen, Mr Dillard«,
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