Entbrannt
wenig offen, und ich konnte ihre Stimme von draußen hören. Ich wusste, dass sie wohl mit Lincoln sprach, den sie kurz vor mir zu sich bestellt hatte.
»D u hattest schon immer großes Potenzial, Lincoln. Ich hatte große Hoffnung in dich gesetzt. Ich muss sagen, als du heute Morgen gegen Seth angetreten bist, haben sich meine Vermutungen noch bestätigt, dass du eines Tages für einen Platz im Rat geeignet sein könntest. Damit wärst du der erste Grigori von einem der Herrschaften, der so hoch aufgestiegen ist.«
»E in Sitz im Rat wäre eine große Ehre für mich«, sagte Lincoln.
»D as wäre es in der Tat. Aber ich will ehrlich mit dir sein– wenn du deinen Weg so weitergehst wie bisher, sehe ich das nicht vor mir. Deine Verbindung zu diesem Mädchen vernebelt dein Urteilsvermögen. Du stellst sie über deine Pflichten dem Rat gegenüber.«
Als nichts als Stille folgte, hörte ich Josephine seufzen.
»L incoln, sie ist keine von uns– ich habe einen Blick für diese Dinge. Du fühlst dich ihr moralisch verpflichtet, was bewundernswert ist, aber du musst darüber hinausschauen und das Gesamtbild sehen.« Wieder stieß sie einen tiefen Seufzer aus. »I ch finde, du solltest in Betracht ziehen, einen Ersatzpartner zu beantragen. Griffin und ich sind beide in der Lage, uns in deinem Auftrag an die Seraphim-Anführer zu wenden.«
Ich hatte die Nase voll davon, Gespräche von der anderen Seite der Tür mitzuhören. Ich hatte die Nase voll davon, von Leuten im Stich gelassen zu werden und nur durch Lauschen herauszufinden, was wirklich in der Welt vor sich geht.
Lincolns Kraft streichelte mich zart und sandte einen warmen Schauder durch meinen Körper. Ich lächelte, als mir klar wurde, dass er mich damit daran erinnerte, dass er mich auch über größere Entfernungen noch spüren konnte, genau wie ich ihn.
»I ch werde darüber nachdenken, Josephine«, sagte er, seine Reaktion war so unverbindlich, dass ich fast losgelacht hätte.
Ihre Stimme wurde eine Spur leiser. »W arum bin ich dann so sicher, dass du es nicht tun wirst?«
»W eil sie meine Partnerin ist«, sagte er, als würde das alle Fragen beantworten. »S oll ich sie jetzt hereinholen?«, fügte er hinzu, womit er Josephine nicht allzu diskret mitteilte, dass ich direkt vor ihrer halb offenen Tür stand.
Ein Punkt für uns!
Die Tür schwang auf, Lincoln stand davor und winkte mich mit einem Zwinkern herein. Wie es aussah, war Josephine nicht die Einzige, die in Wortgefechten triumphieren konnte.
Josephine hatte eine lange Liste mir Dos und Don’ts, die sie unbedingt mit mir durchgehen wollte. Ich achtete nur auf die Überschriften. Ab morgen wurde von mir erwartet, dass ich am Akademie-Training teilnahm. Wie Spence würde ich nicht am normalen Unterricht teilnehmen müssen, aber es würden spezielle Theoriesitzungen stattfinden, um mich in Grigori-Geschichte auf den neuesten Stand zu bringen. Sehr zu Josephines Überraschung war ich froh, das zu hören.
Der Teil, der mich nicht so begeisterte, war, dass ich die Akademie erst wieder verlassen durfte, wenn ich meine Prüfung in drei Wochen abgelegt hatte. Außerdem musste ich mir einen älteren Grigori von der Akademie als Mentor aussuchen, der mich darauf vorbereiten sollte. Bis zum Abend des nächsten Tages sollte ich jemanden nennen.
Ich erklärte mich mit allem einverstanden, dann fragte ich: »W o sind meine Eltern?« Ich konnte mich gerade noch bremsen hinzuzufügen: »U nd wann kann ich sie sehen?« Um ehrlich zu sein war ich mir nicht sicher, ob ich dazu schon bereit war.
Josephine schürzte die Lippen. »S ie sind in der Arrestzelle im Stockwerk unter uns. Sie werden dort bleiben, bis uns Evelyn einen vollständigen Bericht geliefert hat. Da es dein Vater jedoch verlangt hat, werde ich arrangieren, dass du zu gegebener Zeit Zugang zu ihm bekommst, aber die Besuche finden unter Aufsicht statt.«
Ich starrte sie kühl an. »D ir ist schon klar, dass es nichts bringt, sie einzusperren. Sie ist eine Grigori, genau wie du. Alles, was sie will, ist, Lilith aufhalten, mehr hat sie nie gewollt.«
»W ir haben unsere Gründe. Es ist nicht an dir, sie zu hinterfragen, Violet.«
Josephine lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und machte ein arrogantes Gesicht.
Sie führte etwas im Schilde. Warum war es ihr so wichtig, Evelyn wegzusperren? Was konnte sie gewinnen, wenn sie sie hier festhielt? Mich? Nein, es war mehr als das. Alles, was Josephine tat, war voller Berechnung. Plötzlich kam mir
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