Es muß nicht immer Kaviar sein
mysteriöse Schlüsselfigur, auf die Oberst Werthe ihn ansetzte, war ein gewisser Jean-Paul Ferroud. Der weißhaarige Riese besaß, gleich Thomas, in Paris ein privates Bankhaus. Es schien, daß die größten und frechsten Schiebungen über ihn abgewickelt wurden.
Thomas lud den Bankier zum Essen ein.
Zweierlei taten Franzosen im Jahre 1943 nur unter ganz außerordentlichen Umständen: Deutsche besuchen und Deutsche einladen. Man traf sich in Restaurants, in Bars, im Theater – aber nicht zu Hause. Oder man hatte sehr, sehr gute Gründe dafür …
Die Affäre Ferroud begann denn auch gleich mit einer Überraschung für Thomas: Der Bankier sagte zu.
Fünf Tage bereitete Thomas Lieven mit Nanette dieses Abendessen vor. Ferroud kam um halb acht. Die Herren waren im Smoking.
Die sehr trockenen Martinis nahmen sie im Salon. Dann schritt man zu Tisch, auf dem Kerzen brannten.
Nanette servierte den Schinken.
Ferroud aß wie ein Kenner. Er beleckte dezent die Lippen: »Wirklich fabelhaft, Monsieur. Lag in Rotwein, wie?«
»Fünf Tage. Das Wichtigste war allerdings das Einreiben mit Wacholderbeeren, Ingwer, Lorbeerblättern, Pfefferkörnern und Zwiebeln. Sie müssen den Schinken einreiben, bis er fast schwarz wird.«
»Und Sie nahmen nur Rotwein?« Ferroud sah großartig aus, wie der Père noble eines französischen Theaters.
»Auch eine halbe Flasche Essig. Ich bin sehr glücklich, daß Sie meiner Einladung Folge geleistet haben.«
»Ich bitte Sie«, sagte der andere, Selleriesalat auf seine Gabel häufend, »man wird schließlich nicht jeden Tag von einem Agenten der Deutschen Abwehr eingeladen.«
Thomas aß ruhig weiter.
»Ich habe mich über Sie informiert, Monsieur Lieven. Eigentlich kann man Ihnen nur mißtrauen, soviel und gleichzeitig sowenig zeichnet sich aus den Informationen ab, wer Sie wirklich sind. Eines steht fest: Sie sind auf mich angesetzt, weil man mich für einen großen Drahtzieher des Schwarzmarktes hält! Stimmt’s?«
»Stimmt«, sagte Thomas. »Eine Scheibe Fleisch müssen Sie noch nehmen! Etwas verstehe ich nicht.«
»Was bitte?«
»Daß Sie, wenn Sie mir mißtrauen und wissen, was ich will, trotzdem zu mir kamen. Das muß doch einen Grund haben.«
»Natürlich hat das einen Grund. Ich wollte den Mann kennenlernen, der – vielleicht – mein Feind sein wird. Und ich möchte Ihren Preis erfahren, vielleicht können wir uns arrangieren, Monsieur …«
Thomas zog die Augenbrauen hoch. Er wirkte arrogant, als er sagte: »Sie sind doch nicht so gut über mich informiert. Schade, Monsieur Ferroud, ich hatte mich auf einen gleichwertigen Gegner gefreut …«
Der Bankier wurde rot. Er legte Messer und Gabel nieder. »Es gibt also kein Arrangement zwischen uns? Jetzt sage ich: Schade. Ich fürchte, Sie unterschätzen die Gefahr, in der Sie von jetzt an leben werden, Monsieur. Sie verstehen, daß ich niemanden in meine Karten schauen lassen kann. Schon gar nicht einen Unbestechlichen …«
12
Thomas Lieven hatte sich gerade auf die Couch gelegt, als in seiner Villa am Square du Bois de Boulogne zu Paris das Telefon klingelte. Es war 13 Uhr 46 am 13. September 1943 – ein historischer Augenblick! Denn dieser Telefonanruf sollte, auf längere Sicht betrachtet, eine Lawine von Ereignissen auslösen.
Er sollte Thomas Lieven das Wiedersehen mit einer Dame bescheren, das ihm, nach einer äußerst kurzen Periode der Seligkeit, schon bald beinahe das Leben kostete,
Thomas Lieven die Freundschaft eines Mannes bringen, der ihm wenige Monate später besagtes Leben rettete,
Thomas Lieven in die Lage versetzen, einen außerordentlich begreiflichen, wenn auch verwerflichen Mord und im Zusammenhang damit die größte Schwarzmarkt-Affäre des Jahres aufzuklären und unserem Freund schließlich die ewige Dankbarkeit einer verzweifelten Hausfrau und einer alten Köchin sichern, denen er in einer für Hausfrauen grauenvollen Situation hilfreich unter die Arme griff.
Ein recht gemischtes Programm, wie man sieht. Plus- und Minuspunkte. Trotzdem: Hätte Thomas geahnt, was ihn erwartete, er hätte das Telefon weiterklingeln lassen bis zum Jüngsten Tag. Aber er ahnte es nicht, und darum hob er den Hörer ab. »Ja?«
»Monsieur Lieven?«
Die Stimme kannte Thomas. Sie gehörte Jean-Paul Ferroud.
Liebenswürdig erkundigte sich Thomas nach dem Befinden des Bankiers. Es ginge ihm gut, sagte Ferroud.
»Und der Frau Gemahlin?«
»Gleichfalls, danke. Hören Sie, Herr Lieven, es tut mir leid, daß ich
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