Extra scha(r)f
sie sich ausgerechnet an mich wendet. Normalerweise sind wir es nicht gewohnt, uns gegenseitig zu helfen. Eine komische Situation. Ungefähr so, als würde Christina Aguilera Pink um Gesangsstunden bitten.
»Also gut«, sage ich, weil ich in diesem Moment Daniel erspähe, der gerade die Außentreppe hochkommt. »Lass mich nur schnell an meinen Kollegen übergeben, dann können wir in meinem Büro reden.«
Emily pflanzt sich auf ein Sofa und starrt geistesabwesend zu den Plasmafernsehern hoch. Während Daniel das Foyer durchquert, mustert er Emily neugierig - wir bekommen hier nicht allzu oft Schuluniformen zu sehen.
»Und, wie geht es ihm?«, frage ich.
»Sein Kopf ist dick bandagiert, und er hängt am EKG, aber so, wie er mit der jamaikanischen Krankenschwester flirtet, würde ich behaupten, dass er jede Gelegenheit nutzt, um seinen Samen in ganz South East zu verstreuen.«
»Jetzt mal im Ernst.«
»Also gut, seine Platzwunde ist mit fünf Stichen genäht worden, und er hat eine Gehirnerschütterung erlitten. Heute Nacht soll er noch zur Beobachtung im Krankenhaus bleiben, aber morgen darf er wieder nach Hause. Er hat sich dafür bedankt, dass wir uns um ihn gekümmert haben, und außerdem hat er sich für den kaputten Lautsprecher entschuldigt.«
»Dann will er uns also nicht verklagen?«
»Leider nein. Ich hatte mich schon gefreut, dich auf der Anklagebank schmoren zu sehen ... Wer ist eigentlich dieses Schulmädchen dort drüben?« Er sieht zu Emily hinüber, die sich gerade die Augen mit einem zerknüllten Taschentuch abtupft. »Sieht aus, als wäre sie selbstmordgefährdet.«
»Das ist meine Schwester. Sie hat eine Krise. Wahrscheinlich hat sie im Korbball verloren. Könntest du kurz für mich übernehmen, während ich mich um sie kümmere?«
»Oh Mann, ich bin hier wirklich das Mädchen für alles.«
»Ich muss in ein paar Minuten wieder an den Empfang zurück«, sage ich, während ich meine Bürotür schließe. »Falls du hier bist, um mich anzupumpen, kannst du direkt wieder abzischen.«
»Ich wusste, es war dumm von mir, hierher zu kommen«, schluchzt Emily und versucht, an mir vorbeizustürzen. Ich halte sie an der Schulter fest.
»Tut mir Leid. Setz dich und erzähl mir, was los ist.« Ich versuche mit meiner Samariterstimme zu sprechen, wie an jenem Abend mit Dino in dessen Küche. Aber ich bin es absolut nicht gewohnt, zu Emily nett zu sein, und es kommt mir total komisch vor. Soll ich sie in den Arm nehmen? Es wird alles wieder gut murmeln? Es könnte sich auch um einen raffinierten Trick von ihr handeln, so wie ich dieses kleine Biest kenne. Immer noch heulend setzt Emily sich auf den Stuhl neben meinem Schreibtisch, und ich mustere sie. Jetzt sieht sie gar nicht mehr wie eine fiese kleine Schwester aus. Vielmehr wirkt sie sehr jung und sehr verstört.
»Ich stecke richtig in der Klemme«, sagt sie leise.
Was um Himmels willen kann sie damit meinen? Hat sie die Schule geschwänzt und ist dabei erwischt worden? Hat sie in der Französisch-Klausur geschummelt? Oder hat sie hinter dem Fahrradschuppen heimlich Crack geraucht?
»So schlimm wird es schon nicht sein«, entgegne ich. »Komm schon, bestimmt geht es dir besser, wenn es einmal heraus ist.« Ich versuche optimistisch zu klingen, höre mich jedoch wie meine Mutter an, wenn ich ihr etwas Wichtiges erzählen will und sie sich am liebsten wieder ihrem Fernsehen widmen würde.
»Du darfst es aber niemandem weitererzählen, okay?«, sagt Emily. »Sonst rede ich nie wieder ein Wort mit dir.« Oh, das klingt sehr verlockend.
Was ich natürlich nicht ausspreche. »Ich werde es keinem sagen«, murmle ich.
Gleich darauf verzieht Emily das Gesicht, klappt den Mund auf und stimmt ein Geheul an, das wie »Ich bin schwanger!« klingt. Dann bricht sie schluchzend über meinem Schreibtisch zusammen, auf dem geordnete Unordnung herrscht.
Am liebsten würde ich lauthals loslachen. Ist das nicht krank? Am liebsten würde ich höhnen: »Na, nana, na, naa, Emily sitzt in der Tinte!«
Aber ich beherrsche mich.
Trotz Sashas Anschuldigung, dass mich die ganze Welt hasst, bin ich kein schlechter Mensch, und das werde ich jetzt bei Emily unter Beweis stellen.
»Bist du sicher?«, frage ich behutsam.
»Natürlich bin ich sicher. Wäre ich sonst hier?«
»Und von wem bist du schwanger?«, frage ich betont freundlich weiter. Ich hin völlig baff, zumal ich keine Ahnung hatte, dass Emily einen Freund hat, geschweige denn ein Sexualleben, das über das
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