Extraleben - Trilogie
Arschkriechen in einer Fremdsprache, mein Freund. Dabei sieht John ja wirklich großartig aus - zumindest wenn man bedenkt, dass wir ihn im schlechtesten Fall für tot gehalten haben. Legt man den Standard »lebender Mensch« an, fällt das Urteil schon anders aus. Dann sieht er nicht großartig aus, sondern wie ein Zombie. Das liegt vor allem an diesem Pflaster auf seiner Stirn. Es ist derart groß, dass man nicht anders kann, als ständig hinzu starren. Auch sonst ist vom makellosen Major Tom früherer Tage nichts übrig: Sein dunkelblauer Anzug wirft tiefe Falten, so, als ob jemand einen ganzen Transatlantikflug lang draufgesessen hätte, und aus dem zerknitterten linken Ärmel lugt unten eine Art von medizinischer Schiene raus. Vielleicht hat er sich den Arm gebrochen? Das wäre in dem engen Cockpit kein Wunder. Mit seinen Rippen scheint auch was nicht zu stimmen, sonst würde er nicht so schräg auf dem Stuhl lehnen. Sogar an seinem sonst so stählernen Fitnesspanzer scheinen die bewegungslosen Tage im Krankenhausbett genagt zu haben. Unter dem Licht der Neonröhre werfen nicht - wie sonst - die mühsam aufgebauten Brustmuskeln den größten Schatten, sondern eine kleine Wölbung direkt über dem Hosenbund. Der Beifahrer stolpert zum Bad, um aus dem Waschbecken, das wir mit Eiswürfeln aus der moteleigenen Icebox gefüllt haben, ein kühles Miller zu holen. Totale Quatschaktion, Alter, bei den ganzen Verletzungen, die John sich zugezogen hat, ist er wahrscheinlich randvoll mit Schmerzmitteln und darf nichts trinken. Oh, er darf doch. Wortlos dreht unser Chef den Kronkorken auf und hält uns die Flasche hin. Wir tippen sie zärtlich mit den Bäuchen unserer Flaschen an, sodass es ein ganz sachtes »Kling« gibt, und nehmen einen höflichen Schluck, obwohl wir beide eigentlich keinen Bock mehr auf Bier haben. Aber wenn der Chef trinkt, dann trinken halt alle. Willkommen zurück auf der Erde, Major Tom. Irgendwann in der elften oder zwölften Klasse, da haben die Lehrer gemerkt, dass wir eben doch nicht nur Amöben mit einem Penis sind, die sich über das »buse« in »Doktor Mabuse« wegschmeißen können, sondern Menschen, mit denen sich ein Gespräch tatsächlich Johnen könnte. Und plötzlich fingen sie auch an, uns wie Menschen zu behandeln. Anstatt so von oben runterzugucken, wollten sie plötzlich unsere Einschätzung zu dieser oder jener Sache hören. Sie fragten dich, ob du auch einen Kaffee haben möchtest, und plauderten -Schauder! - über Privates, oder -Doppelschauder! - über ihr Eheleben. Auf einmal begegnete man sich fast auf Augenhöhe, die Distanz verschwand und wurde ersetzt durch gegenseitigen Respekt. Von diesem Moment an wurde die Schule ziemlich anstrengend. Denn, mein Gott, es waren immer noch deine Lehrer! Endgültige DEFCON ONE in Sachen Zwangsverbrüderung brach auf der Abifahrt aus. Da mussten wir dann abends zusammen mit Linder dem Schinder sitzen und so tun, als seien wir die besten Freunde. Wie sollte das gehen? Der bekackte Sportnazi hatte uns neun Jahre lang um den Ascheplatz gehetzt und keine Gelegenheit ausgelassen, uns nonchalant zu demütigen. Jetzt wollte er also unser Freund sein. Und wir nur noch weg. Klar, John ist nicht so. Trotzdem fühlt es sich ein bisschen so an wie damals: Im Raum wabert das gleiche Unbehagen herum, dieses beklemmende Gefühl, dieser Wunsch, möglichst schnell weit wegzulaufen und nicht mehr zurückzukommen. Wie ein paar versprengte Pfadfinder sitzen wir im Dreieck vor dem ausgeschalteten Fernseher und schweigen uns an, obwohl es ja reichlich Sachen zu besprechen gäbe. Nicht mal Nick fallen ein paar gekünstelte Kumpelphrasen ein, mit denen er das kleine Treffen unter Jetlag-Untoten auflockern könnte. Schließlich bricht John das Eis.
»Nick, Kee - Sie haben sicher eine Menge Fragen ... «
Obwohl er uns mit unseren Login-Namen anspricht, bleibt er seltsamerweise immer beim »Sie«.
Ja, Sir, wir haben in der Tat eine Menge Fragen.
» ... aber wir haben kaum noch Zeit - so here's the deal: Ich nehme an, Sie haben das Tape erhalten?«
John schaut erst Nick und dann mich fragend an. Wir nicken.
»Und Sie waren bei Joseph?«
Wir nicken nochmals, als wären wir Wackeldackel auf der Rückbank eines Audi 80. So hat uns John also gefunden: Er hat geahnt, dass seine sauberen Kollegen von der Datacorp alle IBM einundfünfzig-zehn in Deutschland aus dem Verkehr ziehen würden. Und er wusste, dass Nick bei seinem letzten Einsatz Josephs Rechnersammlung
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