Falkenhof 03 - Im Banne des Falken
fast nackte Eingeborene mit Blasrohren zwischen dem Dickicht aus Lianen, Bäumen und Farnen hervorlugten, als wollten sie den Tischgästen jeden Augenblick ihre Giftpfeile in den Nacken blasen. Bunte Aras saßen in den Bäumen.
Rupert Burlington freute sich wie ein Kind über die Fassungslosigkeit seiner Gäste. »Ich habe eine Schwäche für Reisen in ferne Länder und umgebe mich danach gern mit ein paar Erinnerungsstücken. Ich nenne dies meine ›Reisebilder‹. Sie machen meine Berichte ein wenig anschaulicher, wie ich finde.«
Jana holte tief Atem. »So kann man es natürlich auch ausdrücken«, murmelte sie, noch ganz benommen von der Skurrilität und den täuschend lebensechten ›Reisebildern‹ dieses spleenigen Lords.
Sadik war ganz blass geworden. Jetzt fasste er sich wieder. »Gibt es auch von der Nilquellen-Expedition ein solches Reisebild?«, fragte er.
Rupert Burlington nickte und seine Miene drückte Stolz aus. »Gewiss, es gehört zu meinen gelungensten, wie ich finde. Sie werden es morgen Nachmittag zur Teestunde zu sehen bekommen. Das Wüstenbild hat im kleinen Teesalon seinen bestmöglichen Platz gefunden, und ich hoffe, Sie werden darin mit mir übereinstimmen. Doch wenn ich Sie jetzt zu Tisch bitten darf?«
»Er ist verrückt!«, raunte Jana Tobias zu.
»Unsinn! Er hat einfach nur das Geld, um sich solche kostspieligen Marotten leisten zu können.«
»Präriebüffel, Indianer und Kopfjäger aus dem Dschungel im Esszimmer! Das ist schon ein bisschen mehr als nur eine Marotte!«, wandte sie ein.
Rupert Burlington sah Tobias mit einem fröhlichen Lächeln an. »Oh, hätten Sie vielleicht die Freundlichkeit, Miss Laura zu bitten, uns mit ein wenig Klaviermusik zu erfreuen?«, forderte er ihn auf.
»Miss Laura? Wen meinen Sie?«, fragte Tobias verwirrt.
»Die junge Dame hinter Ihnen.«
Tobias drehte sich um und erschrak. Dort in der Ecke, wo der Dschungel in eine Fläche scheinbar moosigen Waldbodens überging, saß neben der Flügeltür eine bezaubernde junge Frau mit blonden Korkenzieherlocken und in einem rüschenverzierten Kleid aus rauchblauer Seide an einem Klavier. Sie zeigte ihnen ihr reizendes Profil. Und als hätte sie Rupert Burlington gehört, begann sie zu spielen.
»Ah, ein Stück von Mozart. Sehr schön, Miss Laura«, lobte Rupert Burlington, doch in seiner Stimme lag ein vergnügt spöttischer Tonfall, der Tobias stutzig machte.
Zögernd trat er näher zu dieser Miss Laura ans Klavier. »Ist … ist sie echt? Oder ist sie auch eine von Mister Screwburys Schöpfungen?«, fragte er. Er hielt es nicht für ausgeschlossen, dass Rupert sich den Spaß mit ihnen erlaubte, unter all die Puppen nun auch jemanden aus Fleisch und Blut zu mischen, um sie völlig zu verunsichern. Und da ihr Klavierspiel wirklich fehlerlos war …
»Miss Laura ist ein Androide«, erklärte Rupert Burlington lachend, und dabei ließ er wieder das Monokel fallen, was seinen Worten einen zusätzlich dramatischen Effekt gab.
»Ein Andro-was?«, fragte Jana.
»Androide. Das Wort kommt aus dem Griechischen und bezeichnet mechanische Automaten in Tier- oder Menschengestalt. Auch dieses Wort Automat entstammt der Sprache der Hellenen und bedeutet ›Selbstbeweger‹«, erklärte er bereitwillig, während Miss Laura ungerührt ihr Klavierspiel fortsetzte.
»Dieser weibliche Androide hat den Vorzug, drei Schöpfer nennen zu können, nämlich einmal Mister Screwbury, der für das Äußere verantwortlich zeichnet, sowie die beiden Schweizer Mechaniker Henri-Louis Jaquet-Droz und seinen Vater Pierre Jaquet-Droz, die das geniale feinmechanische Innenleben von Miss Laura mit all seinen Federuhrwerken entwickelt haben.«
»Wie ein Geist«, murmelte Jana und verschränkte die Arme vor der Brust, als würde sie frösteln. »Diese … Androiden oder Automaten sind mir unheimlich.«
»Aber, meine Liebe! Solche Automaten gab es schon im Altertum! Sie sind nichts weiter als hochkomplizierte technische Gebilde, mit denen geniale Mechaniker menschliche Bewegungsabläufe imitieren – zu unserem Vergnügen oder sogar zu unserem praktischen Nutzen«, versuchte Rupert Burlington sie zu beruhigen. »Heron von Alexandrien beschrieb schon im 1. Jahrhundert nach Christi den Bau von Automatentheatern! Und derartige Automaten sind am Straßburger Münster 1352 und an der Frauenkirche in Nürnberg ein paar Jahre später angebracht worden, wenn auch in ihrer Ausführung um einiges primitiver als das, was in Miss Laura steckt. Ich
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