Familienpakt: Kriminalroman (German Edition)
während sie Sophie durch einen überheizten, schmutzigen Flur ins Hinterhaus führte. Von dort aus ging es in ein ebenso schäbiges Treppenhaus, das über zwei Treppen hinaus auf den Hinterhof führte.
Sophie hielt ihr Handy fest in ihrer Hand, doch sie hatte keine Gelegenheit, eine Nachricht einzutippen. Mit gemischten Gefühlen sah sie sich auf dem Hof um. Es handelte sich um einen trostlosen Platz, umgeben von einer Backsteinmauer, auf deren Simsen aschgrauer Schnee ruhte. Eine Reihe von Müllcontainern versperrte ihr die Sicht auf den hinteren Teil des Hofes, und erst als Elena sie um die Container herum führte, erkannte sie das Ziel ihres nicht ganz freiwilligen Ausfluges: einen schwarzen Opel Ascona.
»Steig ein«, sagte Elena. In Sophies Ohren klang es wie ein Befehl.
Bei dem schwachen Licht, das in den Hinterhof fiel, konnte Sophie nicht ins Innere des Wagens schauen. Nur an den Konturen erkannte sie, dass der Opel mit zwei Insassen besetzt war: dem Fahrer und einer weiteren Person auf der Rückbank.
Sophie zauderte, doch da versetzte ihre Begleiterin ihr einen Stoß. Im selben Moment wurde die Hecktür des Wagens aufgerissen. Starke Männerarme zogen sie ins Auto.
»Die Platinblonde ist auch nicht übel, was?«, raunte Jochen mit eindeutigem Grinsen und lies sein Bierglas an das seines Bruders klirren.
Burkhard, der sich auf einem plüschroten Sessel so klein wie möglich gemacht hatte, mochte in Jochens Schwärmerei nicht einstimmen. »Lieber wäre es mir, wenn unser Schwesterchen mal wieder auftauchen würde. Wie lange ist sie jetzt fort? 20 Minuten sind es mindestens.«
»Immer lässig bleiben«, riet Jochen. »Du weißt doch: Das Beste kommt zum Schluss. Gönn Sophie ihre Pause!«
»Du weißt, was Vater gesagt hat«, erinnerte Burkhard seinen Bruder an die ehernen Regeln ihres gefährlichen Spiels. »Wir sollten uns an ihre Fersen heften, immer in ihrer Nähe bleiben.«
»Das sind wir doch«, sagte Jochen leicht dahin. »Uns trennt wahrscheinlich nur der verfilzte Vorhang da vorn. Sophie raucht eine Zigarette, lässt die Beine baumeln und horcht munter plaudernd die anderen Mädchen aus. Du wirst sehen: Jeden Moment kommt sie um die Ecke und zwinkert uns zu. Und wenn nicht …«
»Wenn nicht?« Burkhard sah ihn aus großen Augen an.
Jochen beförderte mit einer schwungvollen Kopfbewegung eine blonde Haarsträhne aus seiner Stirn. »Wenn nicht, dann weiß sich Schwesterchen zu helfen und gibt uns Bescheid.«
»Wie denn?«, zweifelte Burkhard. Er wollte sein Handy aus der Hosentasche holen, musste dafür den Bauch einziehen. »Ich habe jedenfalls keine SMS bekommen. Du?«
Jochen lächelte überlegen, prüfte dann aber auch sein Handy. »Nein. Keine Nachricht.« Er lächelte noch immer, als er sagte: »Keine Panik. Wir dürfen nicht auffallen.«
Während Sophie vom Fahrer nur ein Paar dunkle Augen mit buschigen Brauen durch den Rückspiegel erkennen konnte, zeigte sich der Mann auf der Rückbank neben ihr ohne Vorbehalte: Er hatte kurzes weißblondes Haar, ein feistes Gesicht und trug eine fette, goldene Panzerkette um seinen solariumgebräunten Hals. Sein bis auf den vierten Knopf offenes Hemd stellte die Brustmuskeln zur Schau, die er sich wahrscheinlich in einem Bodybuilding-Studio antrainiert hatte. Sophie konnte sich ausmalen, dass sie ins Schwarze getroffen hatte: Das musste Rolf sein!
»Wohin fahren wir?«, fragte sie möglichst unaufgeregt, wobei sie sich entschied, vorerst weiter das leichte Mädchen zu mimen.
»Mal hier hin und mal da hin. Im Kreis herum und dann wieder von vorn. Solange, bis uns der Sprit ausgeht.« Rolf lachte affig und klopfte sich auf die Schenkel. »Also, Schnecke, was steht an? Warum suchst du mich? Es muss ja einen hammerwichtigen Grund dafür geben, dass du die Rehe scheu machst, indem du meinen Namen herumposaunst.«
Wüsste sie es nicht besser, würde Sophie ihn für einen waschechten Zuhälter halten und nicht für einen Krankenpfleger. Wahrscheinlich lag ihm das Halbseidene mehr im Blut als sein bürgerlicher Beruf, und er kostete es aus, sich vor jungen Frauen als großer Zampano aufzuspielen. Sophie sah Rolf voll innerer Abscheu an, ihr Gesicht verriet von dieser Empfindung allerdings nichts, sondern blieb lieblich und unbedarft. »Ich habe viel von dir gehört«, sagte sie und zwang sich dazu, ihre Rolle überzeugend zu spielen, indem sie seinen Bizeps berührte und anerkennend pfiff. »Wow! Bist wirklich so’n stahlharter Typ, wie man
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