Feind des Feindes
von ihnen die Geiseln ab, während ein anderer Tabletts und Bestecke abholte.
Das Abendessen der Männer dauerte etwa zwanzig Minuten. Jetzt war der richtige Zeitpunkt.
Die Pistole, die Mouna geliefert hatte, hatte kein Zusatzmagazin. Carl hatte dreißig plus sieben Schuß in den beiden Waffen, und entweder war das mehr als ausreichend, oder es würde eine Katastrophe geben.
Er empfand so etwas wie inneren Frieden. Er war weder müde noch nervös, als sich seine Hand um die geriffelte Fläche des Pistolenkolbens aus Walnußholz schloß. Er hielt die Pistole in der linken Hand, da er mit der rechten Hand auch die kleinste Beobachtung aufschreiben wollte. Inzwischen waren schon dreißig Blatt vollgeschrieben. Auf einem Blatt neben dem anderen Stapel sammelte er die entscheidenden Angaben, die strategische Information.
Unter Umständen war dies für Carl die Endstation, und er spürte bei diesem Gedanken fast so etwas wie Befriedigung. Er wollte nicht zurück. Er wollte Borgström und dessen verschwitzte Oberlippe kein einziges Mal mehr in seinem Leben wiedersehen.
Normale Menschen führten ein richtiges Leben, wenn sie vierunddreißig Jahre alt waren. Sie hatten Familie und Menschen, die sie liebten, sie hatten Kinder und Sorgen wegen schlechter Noten in Mathematik oder wegen Schieläugigkeit und Übergriffen auf dem Schulhof.
Eva-Britt war ein richtiger, normaler Mensch. Sie hatte eine leicht narbige Haut, war kurzsichtig, Christin und hatte noch nie eine Waffe auf einen anderen Menschen gerichtet.
Die Pistole war fast so lang wie Ingrams Schnellfeuerpistole, wenn man von dem Schalldämpfer absah.
Vielleicht hatte Jihaz ar-Rased besondere Gründe, ihn ausschließlich mit amerikanischen Waffen auszustatten. Nachtzielgerät und größere Angriffsmöglichkeiten waren damit ausgeschlossen. Vielleicht würden die Diplomaten alles auf dem Verhandlungsweg regeln. Die Schweden kannten schon die Identität der Entführer. Mit diesem As im Ärmel konnten sie diesem Salah Salah Beine machen.
Wenn dieser nicht spurte, war er hinterher ohnehin geliefert, und das mußte ihm klar sein. Palästinenser waren meist nüchterne Realisten. Die Männer, die Carl durch den Bildaufheller sah, würden also früher oder später ohnehin sterben. Falls später, war es Aufgabe Mounas und ihrer Leute.
Sie atmete ruhig und gleichmäßig, als schliefe sie in dem Bewußtsein, völlig sicher zu sein. Ihre Brandwunde machte sie schön, aber er hatte sie nie danach gefragt.
Sie stammte aus Gaza. Die Israelis hatten ihre Brüder getötet. Sie hatten in einem Racheakt die zwei Häuser der Familie in die Luft gesprengt.
Sie selbst war nach Jordanien entkommen. Dann hatte Abu al-Houl sie in die Finger bekommen, und schließlich war sie nach Nordkorea geschickt worden.
Wird es leichter, wenn man so viel Haß in sich spürt wie sie? Er redete sich oft ein, Näslund zu hassen, den eigentlichen Chef der schwedischen Sicherheitspolizei, und ebenso oft redete er sich ein, den Chef des westdeutschen Antiterror-Kommandos GSG 9 zu hassen, den er kaum kannte.
Nur einmal hatten sie sich getroffen, als sie mit Champagner anstießen.
Die Riffelung am Mantel der Pistole saß hoch oben, direkt über dem Kolben. Es war besser, die Waffe beim Entsichern weiter unten zu halten, so wie bei seiner Beretta.
Nein, er haßte nicht einmal Karl Müller oder Näslund.
Es hatte aber auch keinen Sinn zu sagen, daß er Tessie immer noch liebte. Es war zuviel Zeit verstrichen.
Für Mouna empfand er Liebe, um ihren Ausdruck zu verwenden. Und für Eva-Britt, die er vermutlich nie wiedersehen würde, und für den Alten und Lundwall und sogar für Stålhandske.
Hier saß er nun, preßte die Augen an ein Nachtsichtgerät mit Bildaufheller, ohne jede Müdigkeit und ohne Aggression, und zog die Summe seines bisherigen Lebens.
Vielleicht war es zu Ende, denn sie glaubten, er sei ein Verräter. Sie würden es nie beweisen können, da es nicht stimmte, und da sie es nie würden beweisen können, würden sie nie Gewißheit erhalten, und da sie nie Gewißheit erhalten würden, würde man ihn zwingen, in das normale Leben zurückzukehren.
Was sollte dann aus ihm werden?
Der Fassade nach war er Unternehmer in der Immobilienbranche, trug elegante Anzüge und war auch ein Mann, der einmal radikale politische Ansichten vertreten hatte. Er war sich nicht sicher, wo das dienstlich gebotene Theater aufhörte und wo er selbst anfing.
Außerhalb des großen Theaters gab es kein Leben,
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