Flamingo (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
mir ein bißchen mulmig. Ich denke, ich habe mich da draußen ziemlich unterkühlt . Und allzu gut sehe ich im Augenblick auch nicht aus.«
»Ich schau so gegen neun vorbei.«
»Boots?« sagte ich.
»Was?«
»Boots?« Ich wollte fragen, ob sie wußte, wie es gekommen war, daß da draußen auf dem Meer alles schiefgegangen war.
»Ja?«
»Ich habe dich immer geliebt. Die ganzen Jahre. Ich habe diesen Sommer 1957 nie vergessen.«
»Ich auch nicht, Dave. Wer könnte das? So was hat man nur einmal im Leben.«
Abends aß ich im Bett von einem Tablett und sah zu, wie das Licht langsam hinter den Bäumen und den Hausdächern verschwand. Dann war es dunkel, und als die Lichter auf den Veranden angingen, konnte ich in den Vorgärten die dunklen Konturen der Palmen und Philodendren und Bambusstauden sehen, und dann wieder die Straßenbahn, die durch die St. Charles Street klapperte. In den geschlossenen Fenstern der Bahn spiegelte sich das violette und grüne Licht der Neonröhren der großen Katz & Betzhof-Drogerie an der Ecke.
Ich schlief ein und träumte, daß ich in ein tiefes, graugrünes Wellental hinunterglitt; über mir wölbte sich der Horizont, und der Himmel war ein trüber Grauschleier wie der Rauch eines Verbrennungsmotors. In meinen Ohren rauschten Wasser und Wind, so wie sie auch in einer leeren Muschel rauschen. Die Muskeln meiner Beine hatten sich in sich zusammengezogen, und von der Kälte war alles Blut aus ihnen gewichen, aber ich wußte, in den Tiefen unter mir lauerten Hammerhaie und andere Raubfische, deren Zähne auch die abgestorbenste Haut wieder prickeln und bunt sprießen lassen konnten.
Ich fühlte die Gegenwart einer Person an meinem Bett und öffnete die Augen auf dem Kissen, als hätte jemand vor meinem Gesicht in die Hände geklatscht.
»Hey, ich bin’s bloß«, sagte Tony Cardo und lächelte. »Nicht daß Sie mir jetzt noch ’nen Herzinfarkt bekommen.«
Ich richtete mich auf den Armen auf und leckte die wulstige Naht auf meiner Lippe.
»Sie müssen ein paar üble Träume haben«, sagte er.
Er trug einen gestreiften braunen Anzug, ein hellgelbes Hemd mit Manschetten und eine dunkelbraune Strickkrawatte. Auf seinem Kopf saß neckisch-schief ein Schlapphut, und er trug klassische englische Herrenschuhe, die so gewienert waren, daß sie wie geschmolzenes Plastik blinkten. Hinter Tony stand der Mann mit den Gefängnistätowierungen, den ich beim Polieren von Tonys Oldsmobile gesehen hatte. Er hatte die Hände geduldig vor dem Leib gefaltet, und seine ausdruckslosen Augen schienen mich nicht richtig anzublicken. Der von einzelnen Stoppeln überzogene Kanonenkugelschädel verhielt völlig regungslos, als lausche er angestrengt auf etwas.
»Ich bedaure sehr, was Ihnen da draußen zugestoßen ist, Dave«, sagte Tony. »Sie haben es kommen sehen, und ich habe nicht auf Sie gehört. Sie sind ein kluger Mann.«
»Nicht klug genug, Tony. Ich bin in die Falle gegangen. Und mein Boot hab ich da draußen auch verloren.«
»Ich weiß alles.«
»Wie?«
»Die Leute am andern Ende. Sie mußten eine Menge Betriebskapital über Bord werfen. Ihr Geld eingeschlossen. Kein guter Abend fürs Geschäft.«
»In vieler Hinsicht kein guter Abend, Tony.«
»Sie meinen, daß Lionel und Ray dran glauben mußten? Ich hätte nie gedacht, daß die zwei versuchen würden, mich zu hintergehen. Aber in diesem Geschäft muß man sich mit sehr vielen wenig vertrauenswürdigen Typen abgeben, Dave.«
»Sie wissen also, daß sie sich die Drogen unter den Nagel reißen wollten? Sie wissen von Jimmie Lee Boggs?«
»Ein Bursche wie Boggs hat nur ein Talent. Sie haben vermutlich in Vietnam auch einen oder mehrere dieser Art gesehen. Leute von der Art, die einen grasenden Wasserbüffel abschießen oder einen Bauern aus einem Reisfeld scheuchen, damit sie ihn umlegen können. Nur um sich zu beschäftigen. Aber was alles andere angeht, hat er die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen. Es macht bereits die Runde, daß er einen Abnehmer für fünfzig Kilo reinen Stoff sucht.«
»Wo ist er jetzt?«
»Hier, Miami, Houston. Überall, wo es ein billiges Motel gibt.«
»Haben Sie eine Ahnung, warum sie es gemacht haben?« sagte ich.
Er zog die Wangen ein, und sein Mund wurde klein und rund wie ein Knopf. Der Mann hinter ihm reckte die Schultern, als täte ihm der Hals weh.
»Brennt Ihnen da was auf der Seele?« sagte Tony. Seine Augen funkelten amüsiert.
»Wie Sie schon sagten, Sie hatten Lionel oder Fontenot so etwas
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