Flammenbraut
Fällen beschäftigten, waren von der Kopflosigkeit der Opfer so abgelenkt, dass sie andere Todesursachen vollkommen übersahen. Damals gab es noch keine Frauen im Obduktionssaal«, fügte Christine hinzu, als ob das sämtliche Fehler von damals erklären würde. »Nur Männer. Zu viele Egos, die der Genauigkeit im Weg standen.«
»Das bezweifle ich – Chauvinisten oder nicht, Unmengen an Leuten haben jeden Millimeter Fleisch und jeden Fitzel Beweismaterial untersucht bei den Torso-Morden. Ich frage mich sogar manchmal, ob man früher nicht genauer war als heute – schließlich stand keine Technologie zur Verfügung, auf die man sich verlassen konnte, kein Wissen über DNA oder Infrarotspektroskopie oder Datenbanken. Jedes Stück Beweismaterial musste in altmodischer Kleinarbeit untersucht werden. Und ich glaube nicht, dass es Kopflosigkeit als Wort gibt.«
»Wenn nicht«, erwiderte Christine, während sie die Gläser in eine kleine Kiste stapelte, »dann sollte man es erfinden.«
»Was gibst du auf dem Totenschein an?«
»Das weiß ich noch nicht. Warum, glaubst du, verstecke ich mich hier unten und drücke mich vor den Telefonen? Die Medien rufen alle fünf Minuten an, weil sie wissen wollen, ob Kim Hammond bei lebendigem Leib zerstückelt wurde oder nicht. Was ist nur los mit denen?«
»Ich weiß es nicht, aber wenn ich es wüsste, würde es sicher die Beliebtheit gewisser Hollywoodproduktionen erklären.«
»Ich erkläre denen immer wieder, dass ich auf die Krankenakten warte, das verschafft mir etwas Zeit. Immerhin kann ich ein Kästchen mit absoluter Sicherheit ankreuzen.«
»Und das wäre?«
»Dass es Mord war.«
Theresa verließ den alten Obduktionssaal und ging die zwei Treppen in den zweiten Stock zur Toxikologie hinauf. Leider war das aus freundlichen jungen Frauen bestehende Team gerade beim Mittagessen, weshalb sich Theresa mit Oliver würde auseinandersetzen müssen.
Auf Zehenspitzen betrat sie sein Reich, das von einem Fenster, einem Arbeitstisch, einer Barriere aus Gastanks und dem Massenspektrometer abgegrenzt wurde. Olivers Leibesfülle quoll über die Ränder des Bürostuhls, auf dem er saß und ein Gas-Chromatographie-Spektrum las, als wäre es das Programm eines Pferderennens. Wie immer ignorierte er seinen Besucher.
Theresa verfolgte eine Weile, wie das Massenspektrometer die Proben herumwirbelte, und sagte schließlich: »Kim Hammond.«
Oliver blätterte um. »Das Innenleben dieses Mädchens muss Ähnlichkeiten mit einem Atomkraftwerk nach der Kernschmelze gehabt haben.«
»Eigentlich sah es ziemlich gut aus. Aber das macht wohl ihre Jugend.«
Oliver grunzte.
»Ich schließe daraus, dass du Drogen in ihren Haaren gefunden hast?«
Die toten Zellen von Haaren wurden schon seit Langem verwendet, um Drogen, Gifte und deren Stoffwechselprodukte nachzuweisen. Da Haare im Durchschnitt etwa einen Zentimeter im Monat wuchsen, stellten sie gleichzeitig eine Zeitachse für den Drogenkonsum ihres Besitzers dar.
»Es wäre leichter, dir zu sagen, was ich nicht gefunden habe. Um es für einen Laien verständlich auszudrücken – Kokain, Heroin, Alprazolam, THC – also Marihuana …«
»Danke.« Theresa knirschte mit den Zähnen. Olivers schier grenzenloses Selbstbewusstsein zu ertragen war der Preis für schnelle und genaue Informationen. »Ich weiß.«
»… Oxycodon und noch irgendetwas, das Modellbaukleber sein könnte. Außerdem so viel Koffein und Nikotin, dass allein das schon für so ein mageres Ding wie sie gefährlich gewesen sein könnte. Dieses Mädchen hat wirklich alles geschluckt.«
»Was befindet sich im obersten Zentimeter?« Der Haarabschnitt des vergangenen Monats würde ihnen etwas über ihre letzten Aktivitäten verraten.
»Nichts. Traurig, wie ich finde. Sie war mit einem Mal clean und ist trotzdem gestorben.« Er klang allerdings ganz und gar nicht traurig, sondern eher, als würde er eine ungewöhnliche, aber nicht besonders interessante Spitze auf einem Massenspektrometergraphen betrachten. Und recht viel mehr war Kim Hammond auch nicht für ihn.
»Gifte?«
»Wenn du giftige Stoffe meinst, nein, auch wenn die sich sowieso nicht so schnell in ihren Haaren abgesetzt hätten. Natürlich habe ich Blut, Urin und Mageninhalt überprüft, da es ja mein Job ist, manche würden sogar sagen, mein Daseinszweck, eklige Dinge in kleine Röhrchen zu füllen, damit sie uns widerliche Geheimnisse verraten.«
»Also keine offensichtlichen Gifte.«
»Ich lehne es ab, mich
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