Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)
begriffen, wie sie ineinanderpassten.
Jetzt aber war mir klar wie Kloßbrühe, wo ich suchen musste und was ich finden würde.
Ich betrat den Vorraum der Kirche und knipste meine Taschenlampe an, wobei ich achtgab, dass der Strahl immer auf den Boden gerichtet war. Wenn man draußen stand, ließ nämlich der kleinste Lichtschimmer hinter den Buntglasfenstern die ganze Kirche wie eine Tiffany-Lampe mitten auf dem Friedhof aufleuchten.
Ich öffnete die Zwischentür und trat in den eigentlichen Kirchenraum, oder, wie Feely sich ausgedrückt hätte, vom Narthex ins Kirchenschiff. Wenn es um Kirchenarchitektur ging, warf Feely gern mit Fachbegriffen um sich, als plauderte sie bei Tee und Löffelbiskuit mit dem Erzbischof von Canterbury oder gleich mit dem Papst. Trank der Papst überhaupt Tee? Keine Ahnung, aber ich war mir sicher, dass Feely so lange über dieses Thema quasseln konnte, bis die Kühe nach Hause kamen und die Milch mitbrachten.
Ich stand im Mittelgang und spitzte die Ohren.
Ringsum herrschte absolute Stille, so wie man sie nur in Kirchen antrifft – eine Stille, die so unermesslich war, so zeitlos und so laut, dass sie in den Ohren schmerzte, ein hallendes Vakuum negativen Klangs.
Ob es sich vielleicht doch um das Wehklagen der Toten handelte, die sich hinter den Mauern und in der Krypta stapelten? Warteten sie nur darauf, wie mir Daffy einmal hatte weismachen wollen, mitternächtliche Besucher zu packen und in ihre Särge zu zerren, wo sie dann an ihren Knochen herumnagten, nur um sie beim Jüngsten Gericht wieder auszuspucken und sich schleunigst auf den Weg ins Paradies zu machen?
Reiß dich zusammen, Flavia!
Warum ließ ich es eigentlich zu, dass sich derlei Schwachsinn in meinem Hirn ansammelte? Ich war schon öfter nachts hier gewesen, und noch nie war mir etwas Schlimmeres begegnet als Miss Tanty.
Miss Tanty und Cynthia Richardson.
Als ich jetzt darüber nachdachte, fiel mir auf, dass in unserer Kirche in den frühen Morgenstunden fast so viel Betrieb war wie am helllichten Nachmittag in Victoria Station.
Der Direktanschluss ins Paradies.
Schluss damit, Flavia!
Ich ließ zu, dass mich der Ort unruhig machte, und das passte mir gar nicht.
Wie eine Ein-Mann-Prozession schritt ich langsam den Mittelgang entlang.
Dann stellte ich mir plötzlich vor, vielleicht damit ich nicht so allein war, dass Daffy neben mir ging und mit getragener Stimme rezitierte: »Von Gräbern sprecht, von Würmern, Leichensteinen …«
Schluss jetzt, Flavia! Ein für alle Mal!
Wenn ich Glück hatte, trennten mich nur noch wenige Minuten vom Erfolg. Wenige Sekunden …
Etwas knarrte.
Holz, dem Klang nach.
Ich fuhr zusammen.
Lauschte …
Nichts.
Das ist doch lächerlich, dachte ich. Von den Mauern abgesehen, sind alte Kirchen voller Eichen- und Ulmenholz. Der Dachstuhl, der sich über meinem Kopf wölbte, die Bänke, die Kanzel, die Geländer – das alles kam aus englischen Wäldern. Alles war einst lebendig gewesen, war es womöglich immer noch, reckte und streckte sich im Schlaf.
Ich ging weiter auf die Orgel zu, traute mich aber nicht, den Lichtstrahl der Lampe nach oben zu richten und festzustellen, ob St. Tankred noch tropfte.
Flecken bunt gefärbten Mondlichts fielen durch die Fenster und ließen die Dunkelheit noch dunkler erscheinen.
Ich hatte die Orgel erreicht, deren drei Manuale im Dunkeln wie eine dreifache Zahnreihe schimmerten.
Es knarrte wieder.
Oder war es diesmal ein anderes Knarren?
Ich ließ den Lichtstrahl umherwandern, bis mich der geschnitzte Gnom angrinste.
Dann legte ich das Ohr an die Holzverkleidung und horchte angestrengt, aber aus dem Orgelgehäuse drang kein Laut.
Ich drehte an den feisten Wangen des Gnoms, und die Vertäfelung glitt auf. Ich schlüpfte durch die Öffnung.
Abermals befand ich mich an dem Ort, an dem Mr. Colli-cutt zu Tode gekommen war – und wo er, wenn ich nicht völlig danebenlag, auch Luzifers Herz versteckt hatte.
Man musste einfach nur die Fakten in der richtigen Reihen-folge auffädeln wie Perlen auf eine Schnur. Damit lag die Lösung eigentlich bereits auf der Hand. Ich freute mich schon darauf, Inspektor Hewitt alles zu erklären, ihm den gelösten Fall als Friedensangebot schön verpackt und mit Schleifchen drum herum vor die Füße zu legen.
Er würde natürlich alles seiner Frau Antigone erzählen, die mich unverzüglich anrufen und wieder zum Tee einladen würde, trotz meiner Taktlosigkeit in der Vergangenheit.
Sie würde mich zu
Weitere Kostenlose Bücher