Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)
meiner brillanten Aufklärung des Falles beglückwünschen, und ich würde bescheiden abwinken.
Um mich herum ragten die Orgelpfeifen zu Tausenden, jedenfalls kam es mir so vor – wie ein ganze Gebirge aus Metall und Holz.
Jede Pfeife hatte einen Mund, durch den sie sprach, einen waagerechten Schlitz im unteren Teil. Ich war fest davon überzeugt, dass Mr. Collicutt Luzifers Herz in einen dieser Schlitze geschoben hatte.
Fragte sich nur, in welchen.
Ich hatte viele Stunden neben Feely auf der Orgelbank verbracht, hatte zugeschaut, wie sie die Register zog, die der Orgel ihre Stimme liehen: Lieblich Bordun, Violine, Fagott, Gemshorn, Vox coelestis, Salicet, Dulciana und Gedackt.
In welcher Pfeifenreihe hatte Mr. Collicutt den Diamanten wohl versteckt?
Seltsamerweise hatten mich erst die ausrangierten Pfeifen in seinem Zimmer auf diese Frage gebracht.
»Wo würde ein Organist einen Edelstein verstecken?«
Mir fiel ein, dass Feely mir erklärt hatte, dass die Gemshorn-Pfeifen wie Hirtenflöten aus Ziegenhörnern klingen sollten … Hirtenflöten … Hirtenstab … Bischofsstab? Luzifers Herz hatte einen Bischofsstab geschmückt – war hier ein versteckter Hinweis zu finden? Und hatte nicht auch auf dem Manuskript auf Mrs. Collicutts Schreibtisch ein Pfeil das Wort »Adamas« mit dem Wort »Gemshorn« verbunden? Einen Versuch war es immerhin wert.
Es gab ungefähr zwei Dutzend Gemshorn-Pfeifen, von über einem Meter Länge bis hinunter zu zehn, zwölf Zentimetern. Die kleinsten waren zu dünn und ihre Schlitze zu klein, als dass man darin etwas hätte verstecken können.
Ich beschloss, mit der dicksten anzufangen.
Ich steckte Zeige- und Mittelfinger in die Öffnung und tas-tete nach oben und unten.
Die Innenseite der Pfeife war glatt wie eine Teedose.
Na schön, dann eben die nächste.
Während ich mich voranarbeitete, musste ich unwillkürlich lächeln. Feely hatte sich beschwert, die Orgel sei schon seit Wochen verstimmt, aber sie hatte es fälschlicherweise auf das Wetter geschoben.
Ich wusste es besser.
Wer wäre darauf gekommen, dass ein versteckter Edelstein dem armen alten Instrument wie ein Frosch im Hals saß?
Flavia der Luce – wer sonst!
»Flavia, du Teufelsbraten!«, raunte ich und steckte die Finger in den Schlitz der nächsten Pfeife.
Im Universum gilt das ungeschriebene Gesetz, dass man das, was man sucht, immer erst ganz zum Schluss findet. Das gilt für alles Mögliche, von verlorenen Socken bis zu an den falschen Platz zurückgestellten Giften, und es traf auch diesmal zu.
Die letzte Pfeife im Gemshornregister war diejenige, die am weitesten von der Geheimtür in der Orgelverkleidung entfernt war.
Ich streckte mich, sprach ein stummes Stoßgebet und griff in den Schlitz.
Da war was!
Ein unregelmäßiger Klumpen – verschrumpelt und trocken wie eine Dörrpflaume.
Ich betastete ihn vorsichtig, erkundete mit den Fingerspitzen seine Größe und Form.
Er war ungefähr so groß wie eine Walnuss und fühlte sich auch ähnlich an.
Ich wackelte daran, bis er sich mit einem dumpfen Plopp ! löste und in meine Handfläche plumpste.
Langsam!, dachte ich. Jetzt bloß nicht in die Pfeife fallen lassen!
Ich ließ die Finger abwärts in Richtung der Öffnung gleiten, dann zog ich den Fund heraus und hielt ihn unter die Taschenlampe.
Was für eine herbe Enttäuschung!
Es war bloß ein altes Stück Knete.
Ich klemmte die Taschenlampe zwischen zwei Orgelpfeifen, bohrte beide Daumen in den Klumpen und brach ihn auf, als wollte ich ein Ei aufschlagen.
Luzifers Herz!
Mein eigenes Herz machte einen Satz, und mir entfuhr eine eher unheilige Bemerkung, auf die ich später nicht unbedingt stolz sein würde.
Vom Schein der Lampe zum Leben erweckt, lag der riesige Diamant in meiner Hand und sprühte Lichtfunken in die Dunkelheit ringsum, als sei eine neue Sonne aus dem Ei geschlüpft.
Also hatte ich richtig getippt: Mr. Collicutt hatte den Stein in eine Orgelpfeife geklebt.
Ganz schön schlau von ihm, dachte ich, und noch viel schlauer von mir, dass ich ihm draufgekommen bin.
Luzifers Herz! Nicht zu fassen!
Ich konnte es kaum erwarten, Vater davon zu erzählen.
Ich hielt den Diamanten zwischen Daumen und Zeigefinger, drehte ihn hin und her und sandte tausend tanzende Reflexionen in die Dunkelheit.
Da sagte eine Stimme hinter mir: »Schnapp sie dir, Benson!«
Dann passierte alles auf einmal. Jemand packte mich am Oberarm und bohrte mir die Finger in die Muskeln. Mein Arm erschlaffte
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