Flederzeit - Riss in der Gegenwart (Historischer Roman): 2 (German Edition)
sieht stets auf seinen eigenen Vorteil, das auch. Aber er würde doch nie seine Familie ...“
Für Matthias war jetzt alles zu viel. Er hob den Arm, ballte die Faust und ließ die durch die Luft zischen. „Genau die, doch. Im Erbschaftsstreit mit seinen Halbgeschwistern wird er zum Schlächter. Er wird erst ruhen, wenn alle ausgelöscht sind.“
„Bist du ganz sicher?“
Mila bei den Händen packend stöhnte er: „So steht es in den Büchern. Er löscht alle Nachkommen Meinhards aus. Söhne, Töchter, Ehepartner, Kinder, die ganze Familie. Mila, vielleicht wird er auch dich ...“
„Nein!“ Milas Augen blitzten, dunkel vor Angst und Zorn. „Das wird er nicht. Ich ... wir werden das nicht zulassen.“
Matthias schüttelte den Kopf. Sie verstand es nicht. „Wir können es nicht verhindern, Mila. Es steht in allen Geschichtsbüchern.“
„Dann müssen die eben geändert werden“, fauchte Mila und wirkte wirklich wild entschlossen. Sie wandte sich um, zurück.
„Wohin willst du?“
Hilflos wies sie in die Richtung, in der Ehrenberg lag. „Wir müssen zu ihm. Jetzt gleich.“
„Mila.“ Matthias' Stimme war nur noch ein Flüstern, alle Kraft hatte ihn verlassen. „Mila, das geht nicht. Wir können es ihm nicht sagen.“
„Doch, doch, das müssen wir sogar. Wir tun ein gutes Werk. Denn dann kann er sich bewusst entscheiden, es nicht zu tun.“ Mila war voller Eifer, lachte sogar, erleichtert. „Du wirst sehen, er wird uns dankbar sein. Und was macht es denn, wenn sich die Geschichte dadurch ändert? Die Bücher, die du in siebenhundert Jahren gelesen hast, sind ja noch lange nicht geschrieben.“ Sie hob die Schultern, strahlte. „Es wird anders in ihnen stehen. Und selbst wir wissen nicht, wie es sein wird. Das ist doch gut!“
„Nein, das ist es nicht.“ Seine Stimme war hartes Bellen.
Sie erfasste sofort, dass es noch etwas gab. Etwas, das sie noch nicht wusste. Ihre Augen wurden groß, sie senkte den Kopf. „Sag es mir.“
„Weil Johann, äh – Vincent mein Vorfahr ist, mein Urahn.“ Matthias holte nochmals Luft und präzisierte: „Ich stamme von Johann ab. Es gibt mich, weil Johann Vincent ist und weil Vincent seine Familie auslöschen wird. Verhindern wir das, ändern wir unter Umständen nicht nur die Geschichtsbücher.“
„Meinst du ...“
Matthias konnte zusehen, wie Milas Gedanken ratterten.
„Aber das muss es doch nicht bedeuten.“ Sie fasste nach seinen Händen, als wollte sie verhindern, dass er sich hier und jetzt einfach in Luft auflöste. „Ich meine, wenn Johann aus freiem Entschluss Johann bleibt, wenn er nicht zum Schlächter wird, so kann er dennoch dein Vorfahr bleiben. Das muss doch auf dich keine Auswirkungen haben, oder?“
Wenn Matthias noch einen Beweis gebraucht hatte, dass Mila ihn wollte, ihn, den Zeitreisenden aus der Zukunft, ihre Verzweiflung angesichts dieser Gefahr wischte alle Bedenken weg. Mila weinte fast. „Du schaffst es ein zweites Mal, hierher zu kommen – nur um dich womöglich vor meinen Augen aufzulösen, weil es dich niemals geben wird?“
Schneller, als er es selbst bemerken konnte, war seine Hand auf ihrer Wange, wischte die Tränen weg. „Ich bin hier“, flüsterte er. „Jetzt bin ich hier. Und du hast recht. Wir müssen es Johann sagen. Irgendwann, nicht gleich. Weil wir noch viel Zeit haben. Ich weiß schließlich, dass Meinhard erst in mehr als zwei Jahren sterben wird. Vorher droht ja gar keine Gefahr.“ Sie hatten noch Zeit.
Als das Lächeln in Milas Gesicht zurückkehrte, fiel eine Last von ihm. Es war richtig. Sie hatten Zeit. Noch viel Zeit.
„Möchtest du ein Taschentuch? Die gibt es bei euch noch nicht, oder?“ Er schob die Decke, mit der Heinrich seinen Rucksack getarnt hatte, ein Stück zur Seite und reichte ihr ein Tempo aus der Seitentasche.
„Oh, ich kenne die.“ Milas Lächeln verstärkte sich, während sie sich die nassen Wangen abrieb. „Ihr Neuzeitmenschen habt die immer bei euch. Ich war bei Steffen wirklich traurig, als sie alle waren.“
„Ich habe einige Packungen mit“, grinste Matthias und streckte die Hand aus: „Soll ich es wieder einstecken?“
Sie legte es in seine Hand – berührte dabei seine Finger.
Matthias atmete tiefer ein. „Dann ...“ Er zögerte. Sollte er? Sie an sich ziehen? Küssen?
Wobei es hier sehr unwirtlich war. Ein schmaler Weg, hohe Felsen zur Linken, ein steil abfallender Hang zur Rechten.
Auch Mila sah sich unschlüssig um.
Und genau in diesem
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