Flucht aus Oxford
sie kann manchmal ein wenig erdrückend sein«, erwiderte Kate, die ihn bewusst missverstanden hatte. Sie ließ den Wagen an und fuhr los.
»Hätten wir vielleicht unser Kommen ankündigen sollen?« überlegte sie auf dem Weg zu Gatts Farm.
»Ich glaube, die Überrumpelungstaktik kommt uns besser zustatten«, sagte Tim.
Das Tor zu Gatts Farm Antiques stand weit offen. Kate fuhr in den Hof und parkte ganz am Ende neben einer der Scheunen.
Ausstellung geöffnet verkündete ein Holzschild mit einem Pfeil, der hilfreich die Richtung wies.
»Haben wir irgendeinen Plan?«, fragte Tim reichlich spät.
»Wir schauen uns alles an, was möglich ist, reden mit jedem, den wir erwischen, und bringen den Sekretär nur dann ins Gespräch, wenn es wirklich erforderlich ist.«
»Warum gehen wir nicht einfach rein und sagen, wir hätten ihn wegen einer Reparatur hergebracht?«
»Weil wir dann innerhalb von fünf Minuten wieder draußen wären.«
»Verstehe.«
»Ich hatte angenommen, Ihr Beruf hätte Sie gelehrt, den eher verschlungenen Pfaden zu folgen«, sagte Kate. »Wir wollen schließlich den Mann finden, der Donnas Freund gewesen ist – möglicherweise sogar den, den sie ihren Raben nannte.«
»Allmählich verliere ich den Glauben an die Existenz dieses Raben.«
»Tun Sie das nicht. Denken Sie an all die anderen Dinge, die Sie von Berufs wegen glauben müssen. Der Rabe ist dagegen ein Kinderspiel.«
»Mir wäre wohler, wenn Sie nicht ständig meinen Glauben auf die Schippe nähmen.«
»Entschuldigen Sie.«
»Und was können wir sonst noch tun?«, fuhr Tim in verzeihendem Tonfall fort.
»Wir sollten möglichst viel herumschnüffeln. Vielleicht hat die Polizei etwas übersehen, was uns weiterhelfen kann.«
»Ich glaube, die Polizei hat ohnehin nicht nach Beweisen gesucht. Nachdem sie Donna gesehen hatten, stand ihre Meinung bereits fest. Könnten Sie sich vorstellen, dass die Polizei vielleicht doch recht hat?«
»Natürlich nicht. Kommen Sie, immer mir nach.«
Sie betraten den ersten Ausstellungsraum, der sich seit Tims erstem Besuch kaum verändert hatte. Vielleicht waren ein oder zwei Stücke verkauft und durch andere ersetzt worden, doch Tim verstand zu wenig von diesen Dingen, um dessen sicher zu sein.
»Kennen Sie sich mit Antiquitäten aus?«, wandte er sich an Kate.
»Kaum. Und Sie?«
»Vermutlich noch weniger.«
»Dann dürfen wir uns auch nicht den Anschein geben. Man würde es mit Sicherheit sofort bemerken. Man sollte nur lügen, wenn man sicher ist, dass man damit durchkommt.«
Sie streiften durch die Halle, in der sich außer ihnen keine Menschenseele aufhielt.
»Ich kann hier nichts Ungewöhnliches entdecken«, sagte Kate. »Versuchen wir es in der nächsten Halle. Ist es die, wo …«
»Ja.«
Auch dieser Ausstellungsraum sah unverändert aus, bis auf die Tatsache, dass der Sessel weggeräumt worden war, in dem Donna gelegen hatte, und keine Spritze mehr auf dem Tisch lag.
Kate inspizierte die Teppiche. »Sehr hübsch«, urteilte sie. »Mindestens so gut wie die in Callies Cottage. Ich kann einfach nicht glauben, dass Donna ihre Schuhe nicht ausgezogen haben soll.«
»Mir geht es ebenso.« Tim hatte sich gebückt, untersuchte den Fußboden, spähte unter Truhen und ließ seine Hände unter Stuhlkissen gleiten.
»Wonach suchen Sie?«
»Nach dem Anhänger. Ich glaube nicht, dass sie ohne ihn ausgegangen wäre, aber ich weiß genau, dass sie ihn am folgenden Morgen nicht trug. Vielleicht hat sie ihn hier irgendwo verloren.«
Beide waren mit ihrer Suche beschäftigt. Kate verschob eben ein Bücherregal, um zu sehen, was sich dahinter befand, und Tim schüttelte ein mit Quasten verziertes Kissen, als jemand die Halle betrat.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte der Mann.
»Tja, äh …«, stammelte Tim wenig hilfreich.
»Ich glaube, ich habe einen meiner Ohrringe verloren«, erklärte Kate, stolz auf ihre Geistesgegenwart.
»Aber sie sind doch beide noch da!«, entgegnete der Mann. »Oder hatten Sie mehr als zwei?«
»Ach wirklich? Du liebe Zeit! Wie dumm von mir!« Und sie schenkte ihm ihr betörendstes Lächeln. »Erst einmal guten Tag. Mein Name ist Kate Ivory. Ich wohne zurzeit in Aphra Callans Cottage. Und dies ist Reverend Tim Widdows, Pfarrer der Kirche Sankt Michael und Alle Heiligen in Gatt’s Hill.«
»Nennen Sie mich Tim«, sagte Tim.
Der Mann betrachtete sie amüsiert. »Nett, Sie kennenzulernen«, sagte er mit ausgesuchter Höflichkeit. »Ich bin Dr. Anthony Fuller,
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