Franzen, Jonathan
Erweckungsfest. Schmerzliches Heimweh nach
Jersey City, dessen glaubentötenden Straßen, durchfuhr ihn. Ihm schien, als
hätte er dort in seiner eigenen entlegenen Nische noch etwas zu erledigen,
bevor die Welt vollends an ihr Ende kam.
«Wie
fandest du es?», fragte Walter ihn aufgekratzt, als sie im Taxi saßen.
«Ich
glaube, ich werde alt», sagte er.
«Ich fand
die ziemlich toll.»
«Ein paar
Songs über pubertäre Soaps zu viel.»
«Bei denen
dreht sich alles um Glauben», sagte Walter. «Ihre neue Platte zeugt von einem
unglaublichen pantheistischen Bemühen, selbst noch in einer Welt voller Tod an
etwas zu glauben. In jeden Song arbeitet Oberst das Wort lift ein. So heißt auch die Platte: Lifted. Es ist wie
Religion, nur ohne den Dogmenquatsch.»
«Ich
bewundere deine Bewunderungsfähigkeit», sagte Katz. Und fügte hinzu, als das
Taxi auf einer unübersichtlichen Kreuzung mit Diagonalquerungen durch den
Verkehr kroch: «Ich glaube, ich kann das nicht für dich tun, Walter. Ich
durchlebe hochgradige Scham.»
«Tu
einfach, was du kannst. Finde heraus, wo deine Grenzen sind. Wenn du dich
darauf beschränken willst, im Mai ein, zwei Tage zu den Treffen mit den
Praktikanten zu kommen, und vielleicht mit einer schläfst, ist mir das auch
recht. Das wäre schon eine Mensje.»
«Ich bin
am Überlegen, ob ich wieder Songs schreiben soll.»
«Das ist
ja großartig! Das sind ja wunderbare Neuigkeiten. Fast wäre mir das lieber, als
dass du für uns arbeitest. Aber hör um Himmels willen auf, Dachterrassen zu
bauen.»
«Es ist
möglich, dass ich weiter Dachterrassen bauen muss. Nicht zu ändern.»
Die Villa
war dunkel und still, als sie zurückkehrten, in der Küche brannte ein
einzelnes Licht. Walter ging sofort ins Bett, Katz dagegen blieb noch eine
Weile in der Küche, dachte, Patty werde ihn
vielleicht hören und herunterkommen. Von allem anderen abgesehen, sehnte er
sich jetzt nach der Gesellschaft eines Menschen mit einem Sinn für Ironie. Er
aß ein bisschen von der kalten Pasta und rauchte im Garten eine Zigarette. Dann
ging er in den ersten Stock zu Pattys kleinem
Zimmer. Die Kissen und Decken, die er am Abend zuvor auf dem Schlafsofa gesehen
hatte, hatten ihm den Eindruck vermittelt, dass sie dort auch schlief. Die Tür
war zu, und an den Rändern zeigte sich kein Licht.
«Patty»,
sagte er mit einer Stimme, die sie hätte hören können, wenn sie wach gewesen
wäre.
Eingehüllt
von seinem Tinnitus, horchte er aufmerksam.
«Patty»,
sagte er erneut.
Sein
Schwanz glaubte keine Sekunde, dass sie schlief, doch es konnte sein, dass das
Zimmer hinter der geschlossenen Tür leer war, und er empfand ein merkwürdiges
Zögern, sie zu öffnen und nachzusehen. Er brauchte den Hauch einer Ermutigung,
eine Bestätigung seiner Instinkte. Er ging wieder nach unten in die Küche, aß
den Rest Pasta auf und las die Post und die Times. Um zwei
Uhr, nach wie vor im Nikotinrausch und allmählich zornig auf Patty, ging er
erneut zu ihrem Zimmer, tippte an die Tür und öffnete sie.
Sie saß im
Dunkeln auf dem Sofa, noch immer in ihrer schwarzen Fitnessclub-Uniform, vor
sich hin starrend, die Hände im Schoß verschränkt.
«Entschuldige»,
sagte Katz. «Ist das in Ordnung?»
«Ja»,
sagte sie, ohne ihn anzusehen. «Aber wir sollten runtergehen.»
In seiner
Brust war, als er die hintere Treppe wieder hinunterstieg, eine unvertraute
Enge, eine Intensität sexueller Erwartung, die er, wie er meinte, seit der
Highschool nicht mehr verspürt hatte. Patty folgte ihm in die Küche und schloss
hinter sich die Tür zur Treppe. Sie trug sehr flauschig aussehende Socken, die
Socken von einer, deren Füße nicht mehr sehr jung und gut gepolstert waren.
Auch ohne Schuhe überraschte ihn ihre Größe so angenehm wie eh und je. Einer
seiner Liedtexte kam ihm in den Sinn, der über ihren Körper als einen Körper
genau für ihn. So weit war es mit dem alten Katz gekommen: Seine eigenen Texte
rührten ihn. Und der Körper für ihn, er war noch immer hübsch, aus sich heraus
in keiner Weise unerfreulich: bestimmt das Ergebnis vieler durchschwitzter
Stunden in ihrem Fitnessclub. Auf ihrem schwarzen T-Shirt stand vorn in weißer
Blockschrift das Wort lift.
«Ich mache
mir einen Kamillentee», sagte sie. «Möchtest du auch einen?»
«Gern. Ich
glaube, ich habe noch nie Kamillentee getrunken.»
«Ach, wie
ist dein Leben doch behütet.»
Sie ging
ins Büro und kam mit zwei Tassen boilerheißem Wasser wieder,
Teebeutelschildchen
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