Franzen, Jonathan
Grundstück.»
«Das ist
nicht dein Grundstück.»
«Ich habe
es jetzt gemietet. Du wolltest doch, dass ich Miete zahle, und jetzt habe ich
das hier gemietet.»
«Und dein
Job?»
«Hab ich
gekündigt. Ich bin da weg.»
Walter,
den Tränen nahe, ging ins Haus und versteckte die Kamera in einem Wäschekorb.
Dann fuhr er mit seinem Fahrrad durch ein Zwielicht, das plötzlich bar jedes
Charmes und mit Moskitos und Feindseligkeit erfüllt war, und rief vom
Münztelefon vor dem Coop in Fen City zu Hause an. Ja, bestätigte seine Mutter, zwischen ihr, Mitch und seinem Vater seien böse Worte gefallen, und man habe beschlossen,
die beste Lösung sei es, dass das Haus in der Familie bleibe und Mitch es herrichten solle, damit er lerne, mehr Verantwortung zu
übernehmen.
«Mom, das
wird hier die Partyzentrale. Der fackelt noch das Haus ab.»
«Na, mir
ist einfach wohler, wenn du hier bist und Mitch seiner eigenen Wege geht», sagte sie. «Du hattest ja recht, mein
Schatz. Und jetzt kannst du nach Hause kommen. Wir vermissen dich, und
eigentlich bist du auch noch nicht alt genug, um den ganzen Sommer allein zu
sein.»
«Aber mir geht's
hier richtig gut. Ich kriege so viel geschafft.»
«Tut mir
leid, Walter. Aber so haben wir's entschieden.»
Als er im
Fastdunkel zum Haus zurückradelte, hörte er den Lärm schon aus einem Kilometer
Entfernung. Schweinerockgitarrensoli, dumpfes Besoffenengebrüll, der Hund
kläffte, Knallkörper, ein Motorradmotor, stotternd und heulend. Mitch und seine Freunde hatten Zelte aufgestellt und ein großes Lagerfeuer
gemacht und versuchten nun, in einer Wolke von Grasrauch, Hamburger über der
offenen Flamme zu rösten. Sie würdigten Walter nicht mal eines Blickes, als er
hineinging. Er schloss sich in sein Zimmer ein, legte sich ins Bett und ließ
sich vom Lärm quälen. Warum konnten sie nicht still sein?
Warum dieses Bedürfnis, eine Welt, in der einige die Stille
mochten, akustisch zu drangsalieren? Der Radau ging weiter und weiter. Er
erzeugte ein Fieber, gegen das alle anderen offenbar immun waren. Ein Fieber
selbstmitleidiger Entfremdung. Das Walter, während es in jener Nacht in ihm
wütete, einen dauerhaften Hass auf die grölende Vox populi einimpfte und seltsamerweise auch eine Abneigung gegen die Welt
im Freien. Mit offenem Herzen war er in die Natur gekommen, und die Natur in
ihrer Schwäche, die wie die Schwäche seiner Mutter war, hatte ihn enttäuscht.
Hatte sich so bereitwillig von lärmenden Idioten überrollen lassen. Er liebte
die Natur, aber nur abstrakt und nicht mehr, als er gute Romane oder
ausländische Filme liebte, und weniger, als er einmal Patty und seine Kinder
lieben sollte, und so verwandelte er sich für die folgenden zwanzig Jahre in
einen Stadtmenschen. Noch als er 3M verlassen
hatte, um sich dem Naturschutz zu widmen, lag sein Hauptinteresse bei seiner
Arbeit für die Conservancy und später
für die Stiftung darin, Naturnischen vor rüpelhaftem Landvolk wie seinem Bruder
zu bewahren. Die Liebe, die er für die Geschöpfe empfand, deren Habitat er schützte, gründete auf Projektionen: auf einer Identifikation mit
deren Wunsch, von lärmenden Menschenwesen in Ruhe gelassen zu werden.
Abgesehen
von ein paar Monaten im Gefängnis, während deren Brenda mit ihren gemeinsamen
kleinen Töchtern allein war, lebte Mitch bis zu
Genes Tod sechs Jahre später ununterbrochen in dem Haus am See. Er setzte ein
neues Dach darauf und stoppte seinen allgemeinen Verfall, aber er fällte auch
einige der größten und schönsten Bäume auf dem Grundstück, holzte den Hang zum
See zu einem Tummelplatz für seine Hunde ab und schlug am Ufer entlang bis zu
der Stelle, wo einmal die Rohrdommeln genistet hatten, eine Schneemobilpiste
frei. Soweit Walter ermitteln konnte, bezahlte er Gene und Dorothy nie auch nur einen Cent Miete.
Ob der
Gründer der Traumatics überhaupt wusste, was ein Trauma ist? Ein Trauma war
das: an einem Sonntagmorgen die Treppe zum Büro hinunterzugehen, in heiteren
Gedanken an die eigenen zwei Kinder, die einen in den beiden Tagen davor sehr
stolz gemacht hatten, und auf dem Schreibtisch ein langes, von der Ehefrau
verfasstes Manuskript vorzufinden, das die schlimmsten Befürchtungen bestätigte,
die man ihr und sich selbst und dem besten Freund gegenüber gehegt hatte. Das
einzige entfernt vergleichbare Ereignis in Walters Leben war das erste Mal
Masturbieren gewesen, in Zimmer 6 des Whispering
Pines, entsprechend den freundlichen Anweisungen
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