Franzosenliebchen
wurden
ausgewiesen. Die niedrigeren Chargen wissen vermutlich nichts. Und
wenn doch …« Pialon lachte leise. »Die
würden sich eher die Zunge abbeißen, als einen Kameraden
verraten.«
»Was meinen Sie,
wie alt er ist?«, warf Dupont in die Runde.
Capitaine Mirrow
schaltete sich wieder in die Diskussion ein. »Versetzen wir
uns in die Lage der Deutschen. Dieser Polizist wurde hierher
geschickt, um ein Verbrechen aufzuklären. Er muss allein
arbeiten, sich immer gegenwärtig sein, dass seine
Identität aufgedeckt und er von uns festgenommen werden kann.
Dafür braucht man stabile Nerven. Und Erfahrung. Ich glaube
also, dass unser Mann schon älter ist. Mindestens vierzig,
wenn nicht sogar fünfzig Jahre.«
»Was meinen Sie,
Pialon?«
»Ich sehe das
ähnlich. Die Deutschen wollen unsere Ermittlungen in diesem
Mordfall diskreditieren und propagandistisch ausschlachten. Wenn
sie unserem Militärgericht einen offensichtlichen Fehler
nachweisen könnten, wäre das ein großer Erfolg
für sie. Sie wollen also Ergebnisse sehen. Die Gefahr des
Scheiterns wäre bei einem jungen Polizisten zu groß. Ich
denke, Pierre hat recht.«
Dupont wog die
Argumente ab und nickte: »Ich stimme Ihnen zu. Wir haben es
also vermutlich mit einem älteren Mann zu tun. Wo wird er sich
aufhalten? In einem Hotel?«
»Das glaube ich
nicht«, antwortete Mirrow. »Er wird davon ausgehen,
dass wir dort als Erstes suchen. Er wird privat wohnen. Als
Schlafbursche. Oder zur Untermiete.«
»Oder bei
Freunden beziehungsweise Verwandten«, ergänzte Pialon.
»Auf keinem Fall in einem Hotel oder einer
Pension.«
»Und in welcher
Stadt? Herne?«
»Oder sonst wo
in der näheren Umgebung. Längere Anfahrtswege wird er
nicht riskieren. Die Gefahr, von einer unserer Streifen
kontrolliert und aufgegriffen zu werden, wäre zu
groß.«
Mirrow brummte
zustimmend.
»Er muss sich
eine neue Identität zugelegt haben. Mit welcher Legende ist er
unterwegs? Was meinen Sie?«, fragte der Colonel die beiden
Experten.
Lieutenant Pialon
griff zur Weinflasche und schenkte nach, während sich Mirrow
danach erkundigte, ob die Luft nun für alle genehm sei. Als
sich keine Widerrede erhob, stand er auf und schloss die Fenster.
Dabei fiel sein Blick auf den Lastkraftwagen, der brummend
über den Schulhof fuhr. Spedition Müller stand in
großer Schrift auf der Plane.
Dem Lieutenant schoss
ein Gedanke durch den Kopf. »Natürlich! Er muss sich
bewegen können, ohne Verdacht zu erregen. Wie ein Spediteur.
Oder ein Vertreter. Die reisen durch ihr Revier, um ihre Kunden
aufzusuchen. Eine bessere Tarnung gibt es nicht.«
»Damit
könnte er unsere Streifen tatsächlich
täuschen.« Der Colonel lächelte fein.
»Entsprechende
Ausweispapiere vorausgesetzt«, ergänzte der
Lieutenant.
»Das dürfte
für die Deutschen kein großes Problem darstellen. Ihre
Fälscher sind sicher nicht schlechter als unsere.«
Lieutenant Pialon grinste breit.
»Bleibt noch
eine letzte Frage. Wie geht er vor?«
»Unser Berliner
Informant hat berichtet, dass die Deutschen einen Mann gesucht
haben, der fließend Französisch spricht.« Mirrow
lehnte sich im Stuhl zurück und faltete die Hände im
Nacken.
Der Colonel beschloss,
diese unmilitärische Körperhaltung seines Untergebenen zu
ignorieren. Um erfolgreich zu sein, mussten Mirrow und Pialon
häufig außerhalb der üblichen militärischen
Gepflogenheiten agieren. Dabei gehörten die beiden zu den
besten Abwehragenten, die dem 32. Armeekorps zur Verfügung
standen. Dupont wusste das.
»Dafür kann
es nur einen Grund geben: Der Polizist soll Kontakt zu den beiden
Soldaten aufnehmen, die des Mordes angeklagt und freigesprochen
wurden«, führte Mirrow seinen Gedanken zu
Ende.
»Wäre es da
nicht sinnvoll, wir würden die zwei versetzen?«, fragte
Dupont.
»Non«,
antwortete der Capitaine energisch. »Es gibt ein deutsches
Sprichwort. Es lautet: Mit Speck fängt man Mäuse. Unser
Speck sind die beiden Soldaten. Wenn wir sie sorgfältig im
Auge behalten, kommt der unbekannte deutsche Polizist ganz allein
zu uns.«
Colonel Dupont stand
auf und hob sein Glas. Die beiden anderen Männer taten es ihm
nach. »Dann sind wir uns also einig. Wir suchen einen Mann
von mindestens vierzig Jahren, der vermutlich als Handelsvertreter
oder in einem ähnlichem Beruf unterwegs ist, eine private
Unterkunft nutzt, sich in oder in der Umgebung von Herne
aufhält und gut Französisch spricht. Das ist doch schon
etwas. Darauf trinken wir.«
20
Dienstag, 20.
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