Freibeuter der Leidenschaft
später. Tatsächlich hatte ich erst mit achtzehn mein eigenes Schiff, und es war nur ein Schoner mit zwölf Kanonen.“
„Sie waren Schiffseigner mit achtzehn?“, flüsterte Amanda voller Bewunderung für ihn. „Ich bin fast achtzehn.“
„Sie sind eine Frau“, sagte er, als müsste er sie daran erinnern.
„Es hat weibliche Piraten gegeben.“
Entsetzt wandte er sich zu ihr um. „Daran dürfen Sie nicht einmal denken!“
Sie lächelte, zufrieden, dass er noch immer so besorgt um sie war. „Warum nicht? Sie haben doch gesehen, dass ich ein geschickter Seemann bin und ebenso geschickt mit dem Säbel umgehe. Warum kann ich nicht mein eigenes Schiff haben? Dann kann ich aufhören so zu tun, als wäre ich eine Dame.“ Kein Wort davon meinte sie ernst.
„Sie versuchen mich zu provozieren“, sagte er und stand da im Schein der Sterne. „Ich habe Sie durchschaut. Sie könnten niemals eine Mannschaft befehligen, und wir beide wissen das.“
„Ich habe versucht Sie zu provozieren“, gestand sie, „und das war nicht schwer.“ Sie sah ihn von unten herauf an. Tatsächlich war es geradezu lächerlich einfach gewesen. So wie es einfach gewesen war, ihn mit ein bisschen Fechten aus der Reserve zu locken. „Ich will keine Mannschaft befehligen. Ein Kapitän kann sein Schiff nicht kommandieren, wenn er nicht zu einem Mord bereit ist. Papa hat einige Mitglieder seiner Mannschaft getötet. Ich habe keine Neigung zur Gewalt und habe noch nie jemanden umgebracht.“
„Gott sei Dank“, sagte de Warenne mit erstickter Stimme.
„Haben Sie jemals ein Mannschaftsmitglied umgebracht?“
Er presste die Zähne zusammen. „Ich musste niemals jemanden aus meiner eigenen Mannschaft umbringen. Gelegentlich habe ich, vor allem früher in meiner Laufbahn, streng durchgreifen müssen. Aber ich habe nie jemanden gekielholt. Trotzdem, ich bin die Ausnahme, nicht die Regel.“
Amanda konnte dem nur zustimmen. „Erzählen Sie mir, wie Sie das Kommando über die Fair Lady bekamen“, bat sie lächelnd.
Er zögerte. „Es ist spät. Morgen erwartet Sie ein langer Tag voller Studien …“
„Ich werde bei Tagesanbruch damit anfangen. Bitte“, sagte sie, „ich habe mich das schon lange gefragt.“
Er seufzte ergeben. „Das ist eine langweilige Geschichte.“
Sie wusste, dass das unmöglich stimmen konnte.
De Warenne hatte recht gehabt. Genau zehn Tage später stand Amanda da und starrte auf Londons beeindruckenden Anblick, während die Fregatte sich der Sadt näherte. Sie war einmal in Lissabon gewesen, als sie acht Jahre alt gewesen war, aber sie konnte sich kaum noch daran erinnern. Sie war mehrmals in New Orleans gewesen und auch schon in Charleston, aber eine Stadt wie diese hatte sie nie zuvor in ihrem Leben gesehen. Nie zuvor hatte sie einen so überfüllten Hafen gesehen, so eine hohe, gezackte Silhouette, so viele Gebäude, Kirchen, Türme. London war riesig.
Sie klammerte sich an die Reling. Die vergangenen zehn Tage hatte sie mit Studien verbracht: Von Tagesanbruch bis Sonnenuntergang war sie in ihre Lektionen vertieft gewesen, beinahe ohne Pause. Der Stundenplan war auf de Warennes Anweisungen hin so eng gesteckt worden. Bei Sonnenuntergang, wenn sie sogar zum Essen zu erschöpft war, war sie in ihre Koje gefallen und sofort eingeschlafen. Doch ohne fremde Hilfe war sie um Mitternacht wieder aufgewacht, hatte Brot und Käse hinuntergeschlungen und sich zu de Warenne ans Ruder gestellt. Auf die Wache mit ihm konnte sie einfach nicht verzichten.
Jede Nacht begann fast auf dieselbe Weise – er wollte sie nicht ansehen, sein Gesicht starr wie eine Maske, und doch fühlte sie, wie er ihr näher und immer näherkam. Aber nie versuchte er, sie in die Arme zu nehmen, und so begannen sie irgendwann zu plaudern. Er wusste immer, womit sie sich am Tag beschäftigt hatte, und versäumte nie, sie über die einzelnen Lektionen zu befragen und ob sie ihr gefallen hatten.
Und Amanda fragte ihn alles, was ihr einfiel, wollte alles über Adare wissen, über Irland und sein Leben. Er beantwortete alle ihre Fragen, und bis der Tag anbrach, lächelten sie einander zu. Aber jedesmal bei Sonnenaufgang, wenn er sie allein in ihrer Kabine zurückließ, fühlte sie sich so enttäuscht, dass sie den Schmerz an ihrem ganzen Körper fühlte.
Amanda hatte das Ende der Reise gefürchtet. Obwohl sie sich so konzentriert wie möglich ihren Studien gewidmet hatte, war ihr klar, dass sie niemanden lange darüber würde täuschen
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