Für hier oder zum Mitnehmen?
Tasten und keinerlei digitaler Funktion. Ein schöner alter Apparat, wie er früher zu Tausenden in deutschen Haushalten stand. In der Zeit, als es gebaut wurde, konnte man Telefone nur über die Post beziehen, es gab drei oder vier Modelle, eines davon war Mickymaus, die den Hörer in einer Hand hielt. Disney hat da sicherlich ordentlich mitverdient. Ein anderes war das FeTap 751, wobei FeTap für Fernsprech-Tischapparat stand, das nun stilecht seinen Dienst in meinem Tresen verrichtet. Es rauscht und knackst manchmal ein wenig, aber funktioniert ansonsten ohne Probleme.
Vielleicht wäre der Kiosk was für Magnus. Ich müsste den Zwillingen dann nicht einfach absagen, sondern könnte ihnen Magnus als Betreiber empfehlen. Die Zwillinge begrüßen Magnus vertraut und machen lustige Sprüche über sein »Emanzenfilmchen«, über das sie offenkundig bestens Bescheid wissen. Wahrscheinlich spielen sie auch eine Rolle darin.
»Warten Sie bitte mal ganz kurz«, sagt Milena in den weinroten Telefonhörer, »hier kommt gerade der Chef, der kann Ihnen da sicherlich besser weiterhelfen.«
Sie hält ihren ausgestreckten Zeigefinger nach oben, als Zeichen für mich, dass sie mich in sehr naher Zukunft brauche. Sie rollt mit den Augen und wedelt mit der freien Hand, als hätte sie sich verbrannt. Sie schaltet das Telefon auf analoge, archaische Weise stumm: Sie presst die Sprechmuschel auf ihren Busen. Dann erklärt sie mir flüsternd, dass sich eine junge Dame am Telefon befände, die ihrer Meinung nach nicht ganz dicht sei und verlange, dass wir einen unserer Gäste ansprächen oder so etwas in der Art, sie habe es auch nicht ganz verstanden. Aber egal, gut, dass ich jetzt da bin, für Spezialfälle sei ich ja der richtige Mann.
Ich räuspere mich, übernehme den von Milenas Brust aufgewärmten und angenehm nach ihrem Parfum duftenden Telefonhörer. Die Schnur zwischen Hörer und Telefon ist heftig verdreht, damit verkürzt sich der Bewegungsradius während des Telefonierens. Ich melde mich möglichst autoritär mit meinem Namen. Milena zündet sich kopfschüttelnd eine Zigarette an und wendet sich Magnus’ Scribbles zu.
Die unbekannte Frau am Telefon befindet sich in einem desolaten Zustand. Sie bringt kaum ein Wort heraus und wird von Heulkrämpfen geschüttelt. Eine tiefe Traurigkeit und Tragik schwappt da unerwartet durch den Hörer in mein Ohr, ohne dass ich den Inhalt verstehe, während mein Auge eine kleine Filmcrew zeigt, bestehend aus Magnus, dem Regisseur, dem Porno-Cutter, der vermutlich die Produktionsleitung übernehmen soll, Milena, sicherlich die Hauptrolle, und den Zwillingen, wahrscheinlich Nebendarsteller und Geldgeber.
Aurinia betritt das Café, sie trägt ein orangefarbenes, wallendes Batik-Getuche, das sie vollständig einhüllt. Sie hält Dolores an der Hand, die ihr mit leuchtendem Lächeln folgt. Ihr Erscheinen erinnert mich an unseren Geistaustreibungstermin heute Abend.
Der Unbekannten muss etwas Schlimmes passiert sein. Etwas sehr Schlimmes. Sie beruhigt sich langsam und beginnt immer wieder mit den gleichen Worten einen Satz. Ich spüre, dass sie nicht verrückt ist, sondern sich in einem Ausnahmezustand befindet, der sie zu ungewöhnlichen Maßnahmen greifen lässt. Mit solchen Dingen kenne ich mich aus, daher solidarisiere ich mich spontan und widme ihr meine volle Aufmerksamkeit. Nach einer Weile bringt sie den Satz zu Ende, wird aber immer wieder durch zitterndes Luftholen unterbrochen.
Das, was sie sagt, nehme ich ernst: »Ich weiß, das klingt verrückt, aber ich brauche deine Hilfe. Mein Name ist Lisa. Ich habe einen großen Fehler begangen, und ich werde einem sehr netten und lieben Menschen«, an dieser Stelle unterbricht sie heftiges Schluchzen, das in leises Husten mündet, »heute noch das Herz brechen.«
Was ich oder mein Café damit zu tun haben sollen, interessiert mich nun sehr. Ich weiß nichts zu sagen, Floskeln wie ›Alles wird gut‹ bringe ich nicht über die Lippen. Ich kenne Lisa ja gar nicht.
Lisa fährt fort: »An einem der großen hohen Tische gegenüber vom Tresen sitzt jetzt Carsten, der wartet auf mich. Wir wollten zusammen etwas ganz Großes, Neues beginnen.«
An dieser Stelle reißt es sie noch mal, und sie muss eine Pause einlegen. Ich brauche nicht lange, um Carsten zu identifizieren. Ein junger Mann mit langem Haar und Surfer-Outfit sitzt breit grinsend mit einer Rose in der Hand am ersten großen Tisch. Neben ihm steht ein alter Lederkoffer, der
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