Für immer in Honig
nachtblau geschimmert.
Aufstehen, waschen am Keramikschälchen – es gab fließendes Wasser, im Bad, aber das Wohn- und Arbeitszimmer, in dem sie schlief, war mit allem ausgestattet, das sie für ihre Sechzehn-Stunden-Schichten brauchen konnte, inklusive Kühlschrank, Herdplatte und Waschschüssel –, nachlässiges Anziehen: Jeans, T-Shirt, ein paar neue Scheite in den Ofen legen, fertig.
Dann hatte sie den Rechner angeworfen, so war es losgegangen.
Im Moment, schon seit zwei Wochen, führte alles, was sie unternahm, um ihre Theorie der verschärften Verschiebung der Aufmerksamkeit von Objekten auf Akte weiter auszuarbeiten, vom Hölzchen aufs Stöckchen. So auch heute: Einem Hinweis im ersten Band von Schneps / Lochaks »Geometric Galois Actions« aus dem Jahre 1997 folgend, der einige Untersuchungen rund um Grothendiecks »Esquisse d’un programme« von 1984 enthielt, war sie bei einem Aufsatz von Gareth Jones und David Singerman zu Abbildungen und Hyperabbildungen gelandet und hatte sich diesen im altmodischen PDF -Format von Cordulas Server erst geladen, dann ausgedruckt, daraufhin seitenweise Papier mit homomorphismen-induzierten Funktorenbildern vollgekritzelt und die Arbeit schließlich abgebrochen, als ein kurzer Blick aus dem Fenster und ein längerer, etwas geistesabwesender auf die Uhr ihr verrieten, daß es bereits zehn Uhr vormittags war. Der Magen knurrte, also ging sie in die Küche und griff in die nächstgelegene Cornflakes-Schachtel, nahm eine Handvoll pappige, zuckrige Flocken, stopfte sie sich in den Mund, spülte mit Orangensaft nach und wiederholte dieses primitive kulinarische Ritual ein halbes Dutzend Mal, als sie plötzlich hinterm Haus das laute » BITTEBITTEBITTEBITTEBITTE « von Rotorblättern hörte.
Ist es schon wieder Freitag, bringen sie mir meine Rationen?
Leicht verärgert kam sie zu dem Schluß, daß sie offenbar ein bißchen zu selbstvergessen vor sich hin gefastet haben mußte, denn die Regale und kleinen Eßwaren-Nischen standen alle noch voll mit Zeug. Auch der zweite, größere Kühlschrank, der in der Küche – sie riß die Tür kurz auf und schaute nach –, war noch ausreichend mit Milch, Butter, Käse, Gurken und Wurst bestückt. Da drin sieht es aus, als wäre erst Mittwoch.
Lena schüttelte den Kopf und sah erneut aus dem kleinen Fenster. Dann stutzte sie: Den Chopper kenne ich nicht, der sieht kleiner aus – mehr Mücke, weniger Fleischfliege – und grüner als der, den sie normalerweise schicken.
Lena bekam keine Angst, die Überraschung löste bloß eine milde Form der Irritation aus: Was immer das für ein Besuch ist, ich hoffe sehr, er kostet mich nicht die restlichen zwei wertvollen Stunden vor zwölf. Ein Tag, der so früh begonnen hatte, war meistens nur noch bis mittags produktiv, danach konnte sie nur noch spazieren gehen und ziellos ins Nichts denken, dann nach Hause, irgendwas Zerstreuendes – vielleicht baden, Musik hören, einen Roman lesen – und dann kam jenes sanfte Hinübergleiten ins Nichtdenken gegen zweiundzwanzig Uhr, das an Tagen, die schon gegen vier anfingen, die Regel war.
Ein Mann sprang aus der Mücke, schlaksig, in engen schwarzen Jeans, Turnschuhen, Bomberjacke und dunkelrotem T-Shirt. Er hielt die Tür zum Cockpit noch einen Augenblick auf, brüllte was zum Piloten rein, dann warf er die Klappe mit Schwung zu und stolperte eilig die Anhöhe runter zum Kiesweg vor Lenas Hütte.
Lena beschloß, nicht zu warten, bis er klopfte, sondern dem Fremden entgegenzugehen, um ihn an der Tür oder sogar davor abzufangen: desto leichter würde es werden, ihren Unwillen über die Störung mitzuteilen.
Sie lief zur Tür, dann fiel ihr, als sie den kalten Steinfußboden an den Sohlen spürte, ärgerlicherweise ein, daß sie keine Schuhe trug. Also lief sie zurück, suchte unterm Bet, unterm Schreibtisch, an der Badewanne nach Schuhen, fluchte, bückte sich, ging in die Hocke, kroch auf allen vieren im Wohn- / Arbeitszimmer herum und hörte schließlich ein Pochen und von außen eine Stimme – allerdings eine weibliche, wie sie erstaunt erkannte: »Frau Dieringshofen? Lena? Sind Sie da drin, oder sind Sie spazieren?«
Plötzlich fiel Lena ein, daß dieser Besuch, offensichtlich keine Nahrungslieferung, möglicherweise ein Feind sein könnte, und daß Cordula sie streng instruiert hatte, im Falle des geringsten Verdachts …
»Nein, nicht Cordula Späth anrufen. Keine gute Idee«, sagte die Stimme. Gedankenlesen?
Lena erschrak, sprang
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