Gaelen Foley - Knight 03
schneller umher, wäh- rend jede Explosion des fernen Feuerwerks sein Zimmer mit einem matten, kränklichen Schimmer erhellte. Wenn man den ballistischen Winkel sorgfältig berechnete und genau zielte, konnte eine einzige Kanonenkugel eine ganze Reihe Fußsoldaten köpfen, während sie mit Macht herein- zischte, hereinjaulte. Das war eine der wenigen Gelegen- heiten, bei denen er sich buchstäblich hatte übergeben müssen.
Seine Beine zitterten, als er zum Fenster ging und die Vorhänge aufzog, die er zuvor geschlossen hatte. Voll Hass starrte er auf die fernen Lichter und Feuerwerkskörper, versuchte sich dabei gut zuzureden, aber es hatte keinen Sinn. Er berührte die vereiste Fensterscheibe und zog Trost aus der Kälte, legte die kühle Hand dann an die fieberhei- ße Stirn. Plötzlich stellte sich sein Blick von den fernen Lichtblitzen auf die Fensterscheibe vor ihm ein, während ihn ein böser Einfall überkam. Ich könnte das alles ganz schnell beenden, dachte er. Dem Schmerz Einhalt gebieten. Er brauchte nur die Faust durch die Scheibe zu stoßen, ei- nen langen Splitter zu nehmen und sich die Kehle aufzu- schlitzen.
Lang starrte er auf die Eisblumen auf dem Glas, während ihm die Ader in der Stirn pochte. Es wäre eine ekelhafte Schweinerei. Aber dafür hatte man schließlich Dienstboten. Tu es, zischte die Schlange in seinem Gehirn, und die
Versuchung war groß, sie drückte ihm schier die Luft ab. Aber es blieb noch ein Problem.
Wer würde sich um Miranda kümmern?
Schnell, trieb sie sich an und nahm mit zitternder Hand den Schlüssel vom Frisiertisch. Sie war sich jetzt sicher, dass Lucien ihn ihr anvertraut hatte, damit sie sich irgend- einen geheimen Zugang zu Damiens Zimmer verschaffen konnte. Diesmal würde sie nicht eher ruhen, bis sie zu ihm gefunden hatte. Wie kann Lucien von einer Tür wissen, die nicht einmal Mr. Walsh kennt? Ihre Augen blitzten. Luciens Zimmer ...
Sie rannte den Flur entlang, ging leise an Damiens Tür vorbei. Sie wollte ihn nicht vorwarnen, dass sie auf ande- rem Weg hereinzukommen trachtete, damit er ihr nicht auch noch diese Tür versperrte. Auf Zehenspitzen schlich sie sich in das angrenzende Zimmer, den Schlüssel in der einen, die Kerze in der anderen Hand. Dann schaute sie sich in dem Raum um, den sie für Luciens Jugendzimmer hielt.
Das Bett sah aus, als hätte schon ewig niemand mehr da- rin geschlafen. Das Zimmer verriet Luciens wissenschaft- liche Interessen: Die Bände auf den Bücherregalen waren säuberlich nach Sprachen geordnet, Französisch, Deutsch, Latein, Griechisch. Auf dem Jugendschreibtisch standen ein Mikroskop, ein Globus und ein Greifzirkel. Auf der lin- ken Seite führte eine Tür ins Ankleidezimmer. Da Damiens Zimmer auf der anderen Seite der linken Wand lag, unter- suchte sie diese Wand zuerst, versuchte sich vorzustellen, wie die Zwillinge als Kinder hier gespielt hatten. Jeder konnte sehen, dass zwischen ihnen ein enges Band be- stand. Neulich hatte ihr der Duke während einer Unterhal- tung im Salon nach dem Dinner erzählt, dass die schlimmste Strafe, die man über die Zwillinge wegen eines Streiches verhängen konnte, darin bestanden habe, sie ei- ne Weile voneinander zu trennen. Keiner habe so recht ge- wusst, was er ohne den anderen anfangen sollte. Die bei- den schienen sogar ihre eigene Sprache zu haben, hatte der Herzog berichtet, und immer zu wissen, was der andere ge- rade dachte. Lord Alec hatte zugestimmt. Sie waren, hatte der Jüngste auf seine gewinnende Art erklärt, wie eine
Seele in zwei Körpern gewesen.
Sie öffnete den Kleiderschrank und drückte gegen die Rückwand, aber dort befand sich keine Tür. Allmählich näherte sie sich dem Ankleidezimmer.
Lord Alec hatte berichtet, dass die Zwillinge als Kinder einmal am selben Tag an der Influenza erkrankt seien, ob- wohl Damien meilenweit entfernt bei Freunden zu Besuch weilte. Lucien war Linkshänder, Damien Rechtshänder. Lucien hatte auf der linken Wange ein Grübchen, wenn er lächelte, Damien auf der rechten. Jacinda hatte sie darüber informiert, dass dieses Phänomen „Spiegelzwillinge“ hei- ße.
Gerade öffnete Miranda die Tür zum Ankleidezimmer, als ihr Blick auf einen großen Wandspiegel fiel.
Ihr klopfte das Herz, als sie zu dem Spiegel trat, ohne ihr eigenes bleiches Bild zu beachten. Der Spiegel war recht- eckig, oben abgerundet und steckte in einem massiven Ma- hagonirahmen. Sie tastete um den Rahmen herum und hielt den Atem an, als der ganze Rahmen an
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