Gefangene der Dunkelheit
sprechen.«
»Wie Ihr wünscht, Mylord«, sagte Andrew offensichtlich enttäuscht.
»Ich werde morgen Abend wieder bei euch sein.« Er reichte allen abwechselnd die Hand. »Und wenn ich geheilt bin, werde ich euch danken.«
»Nicht nötig, Mylord«, sagte Sebastian und lächelte erleichtert.
»Sie dienen Euch gut«, bemerkte Orlando, als sie fort waren. »Ihr müsst ein guter Herr sein.«
»Nicht gut genug«, erwiderte Tristan grimmig und wandte sich ihm wieder zu. »Wie auch immer, hier ist mein Plan.«
15
Es überraschte Siobhan nicht, dass Tristan fort war, als sie am nächsten Morgen erwachte. Aber als sie entdeckte, dass er ihr Schwert mitgenommen hatte, verfluchte sie sich für ihre Torheit. »Dummes Mädchen«, murrte sie und durchsuchte die hübschen Stoffreste, die einmal ihr Gewand gewesen waren, in der Hoffnung, es übersehen zu haben. »Faules Weibsstück … so lange zu schlafen.« In Wahrheit hatte sie an der Seite ihres Dämonen-Ehemannes zusammengerollt besser geschlafen als seit Monaten. Und das allein genügte schon, dass sie sich eine Närrin schalt.
Sie zog ein weiteres geborgtes Gewand an und warf die Überreste desjenigen, das er ruiniert hatte, in den Kleidersack unten im Schrank. Soweit sie wusste, befanden sich ihre Schuhe noch im Hof, wo sie sie von den Füßen geschleudert hatte, und sie vermisste sie tatsächlich nicht. Sie überlegte kurz, ein zweites Paar mit langem, gebogenen Schnabel anzuziehen, bevor sie schließlich ihre eigenen Stiefel anzog und damit das Diktat der Damenmode ignorierte.
Die Halle unten wirkte fast genauso wie immer, nur dass sie heute etwas belebter war. Tristan war natürlich nicht da, aber auch sein Freund der Herzog sowie der Baron von Callard fehlten. Der Abgesandte des Königs saß in ein Buch vertieft in einer Ecke in der Nähe der Treppe. Er schaute auf, als sie vorüberging, und murmelte »Mylady«, bevor er sich wieder seiner Lektüre zuwandte. Die Ritter, die auf dem Podest gerade ihr Frühstück einnahmen, erhoben sich von ihren Plätzen, genauso wie es die Leute ihres Vaters getan hatten, wenn ihre Mutter erschien. Sie brachte ein schwaches Lächeln zustande, bevor sie an ihnen vorüber und durch den Gang eilte. Ja, ihre Mutter war eine Lady und solche Aufmerksamkeiten wert gewesen. Nur daran zu denken, was mit ihr geschehen war.
Sie eilte über den Hof auf die Ställe zu. Sie wollte Sean und die Übrigen rasch finden und einen Handlungsplan schmieden, bevor sie noch verwirrter wurde. Sie traute sich selbst nicht mehr über den Weg, denn in ihrem Kopf schien sich wie bei einer dummen Frau alles nur noch um eine Kombination aus Küssen und Ängsten zu drehen. Aber vielleicht hatte eine im Wald verbrachte Nacht zumindest den Kopf ihres Bruders klar werden lassen.
Tatsächlich besaß sie keine Vorstellung mehr von dem, was sie tun sollte. Da Meister Nicholas und ein großes Kontingent von Rittern hierher zurückgekehrt waren, war ihrer und Seans großer Traum, die Normannen zu vertreiben, gewiss ausgeträumt. Sie konnte die Leute, die ihnen vertraut hatten, nicht unter der Herrschaft eines Vampirs zurücklassen oder Sean der Rache eines Vampirs aussetzen. Aber wie konnte sie Sean und die anderen retten, ohne Tristan zu vernichten? Und jetzt, wo sie ihn liebte – wie konnte sie das tun? Selbst wenn sie davon ausging, dass sie ihr Schwert wiederfinden würde, änderte dies nichts an dem übrigen Durcheinander. »Guten Morgen, Mylady«, rief ein weiterer Ritter freundlich und kam ihr rasch entgegen.
»Guten Morgen«, antwortete sie und bemerkte es kaum. Sie musste mit Tristan reden, durfte sich nicht von ihm betören lassen, sondern musste mit ihm reden. Sie könnte um Seans Leben flehen, ihn vielleicht sogar dazu bringen, ihr seine Absichten mitzuteilen, nun wo er als Herr seines Schlosses zurückgekehrt war. Aber zuerst musste sie Sean finden und sicherstellen, dass er einstweilen nichts Törichtes unternahm.
»Ein schöner Morgen, nicht wahr?«, sagte der Ritter, als er sie erreichte.
»Ja«, bestätigte sie und verbarg ihre Verärgerung hinter einer freundlichen Miene. »Er ist wunderschön.« Sie wollte an ihm vorbeigehen, aber er trat ihr in den Weg.
»Ich bin übrigens Sir Sebastian«, sagte er noch immer lächelnd. Er war ein gut aussehender Bursche mit einem offenen, ehrlichen Gesicht, aber er trug an diesem schönen Sommermorgen seine volle Rüstung und war gut einen Kopf größer als sie. »Ich diene Eurem Mann schon, seit er das
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