Geheimnummer. Kein Sex nach Plan
schlau angestellt. Ich meine, ich weiß auch, dass der HSV gestern gegen Köln gespielt hat und Daniel in der Stadt war. Ich weiß, dass ihr euch damals in Hamburg prima verstanden habt, das konnte man schließlich schwarz auf weiß in der Zeitung nachlesen, und ich weiß, dass gestern kein einziger verdammter Stau zwischen Frankfurt und Köln war, weil Monas Freundin zufällig aus der gleichen Richtung gekommen ist. Was soll ich mir also dabei denken, wenn du mich erst wie verrückt zu dieser Party drängst und dann nicht auftauchst?«
Er sagte es fast mit einem flehenden Unterton, als wünschte er sich von mir nichts lieber als eine einfache, plausible Erklärung für die Fakten, die alle nur auf das eine hinausliefen und trotzdem nichts miteinander zu tun hatten. Ich suchte nach einem Ausweg, einer winzigen Lücke in diesem Indiziendschungel, ohne ihm von meinem und Tinas albernen Plan erzählen zu müssen, der das Ganze vermutlich auch nicht besser machen würde.
Tim sah weg, als ich in seine Augen schauen wollte. Mir wurde bewusst, dass er am liebsten über die gesamte erdrückende Beweislast hinweggesehen hätte, so wie ich über seine Nacht mit Tina hinwegsehen wollte. Aber dafür war es jetzt zu spät. Ich hatte die Fallstricke selbst ausgeworfen, in denen ich mich jetzt verhedderte. Schließlich gab ich alles zu. Nein, ich hatte nie in einem Stau gesteckt, weder hier noch in der Nähe von Frankfurt. Ja, ich war den ganzen Abend zu Hause geblieben, weil ich ihn mit Mona allein lassen wollte. Aber nein, ich wollte ihn auf gar keinen Fall mit ihr verkuppeln. Und ja, Daniel war mitten in der Nacht zufällig vorbeigekommen, aber nein, sein Besuch hatte nicht im Geringsten Ähnlichkeit mit einer Affäre, auch wenn Daniel mir seine Liebe quasi auf den Knien gestanden und wir uns geküsst hatten.
»Ihr habt euch geküsst?« Tim war im Laufe meiner Beichte immer blasser geworden.
»Ja«, murmelte ich, weil ich nichts mehr zu verlieren hatte, und wünschte, alle meine Lügen und Sünden würden sich nachher mit drei Rosenkranzgebeten und viel Zärtlichkeit wegläutern lassen. »Aber es war kein richtiger Kuss.« Kein Kuss Kuss würde Tina jetzt sagen. »Ich war noch total durcheinander, weil … na ja, und er auch, und wir haben es beide nicht so gemeint. Ach verdammt, Tim, was soll ich dir denn noch dazu sagen, es ist wirklich nichts passiert.«
Tim erhob sich von der Tischkante. »Ich glaube, wir haben einfach eine ziemlich unterschiedliche Vorstellung von ›nichts‹.«
Er ging zur Tür, aber so einfach wollte ich ihn nicht davonkommen lassen. Warum musste denn immer ich die Böse sein? Ich konnte auch mal die Eifersüchtige spielen, und ich war verdammt gut darin. »Ach ja? Vielleicht erzählst du mir dann auch mal, was letzte Nacht alles nicht zwischen dir und Tina passiert ist!«
Tim ignorierte meine Frage: »Du kannst dich einfach nicht ändern, oder?«
Er ging, ohne mir eine Chance zu lassen, darauf zu antworten.
Ich rief ihm nach: »Ich gehe wenigstens nicht mit deinem besten Freund ins Bett.«
»Nein, das hast du ja zum Glück schon vorher erledigt.«
Wütend rannte ich ins Treppenhaus und trat gegen das Geländer, das sich von meinen Birkenstocks wenig beeindruckt zeigte. Ganz toll! Unsere erste große Treppenhauseifersuchtsszene, und ich brachte nichts weiter zustande, als mir am Geländer den großen Zeh zu verstauchen. Ich hasste Treppenhausszenen, ich hasste Tim und Tina und Daniel. Ich hasste mich und mein Leben, und am meisten hasste ich dieses verdammte, kotzgrün gestrichene Treppengeländer.
Auf Bewährung
Ich setzte mich auf die Mauer neben dem Haupteingang der Uni. Hier hatte ich früher oft gesessen, wenn ich zwischen den Vorlesungen schnell eine Zigarette rauchen wollte. Aber jetzt fühlte ich mich hier ziemlich fehl am Platz. Zu alt, zu erwachsen, zu schwanger. Ich beobachtete die Studenten, die aus dem Hauptgebäude strömten, und sehnte mich in meine eigene Studentenzeit zurück. Als ich nach den Vorlesungen aus der Uni stürmte und das größte Problem die nächste Klausur war. Als es noch keinen Tim, keinen Daniel und erst recht kein Baby gegeben hatte. Ich hatte das Gefühl, dass alles schiefging, seitdem ich schwanger war, dabei wollte ich jetzt gerade alles richtig machen. Aber je mehr ich richtig machen wollte, desto mehr lief falsch. Besonders Tim und ich, wir liefen fast in entgegengesetzte Richtungen. Er zur Uni. Ich zur Arbeit. Er zu Tina. Und ich? Ich wollte
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