Geliebte Schwindlerin
Ausreißerin“. Die anderen scharten sich um sie und sangen lautstark mit. Offensichtlich hatten sie dem Wein und dem Champagner bereits reichlich zugesprochen. Die Diener hatten ein Silbertablett mit Sektkelchen und Eiskübeln, die mit dem Wappen des Grafen verziert waren und Champagnerflaschen enthielten, im Salon abgestellt.
Gertie tanzte ein Solo, das von den Herren begeistert beklatscht wurde, verlor am Schluß aber das Gleichgewicht und landete kreischend auf dem Teppich. Unbehaglich beobachtete Minella, wie sich die Gesichter der Mädchen, auch das Connies, immer mehr röteten und ihre Stimmen immer schriller wurden.
Sie zuckte zusammen, als Nellie Lord Skelton ungeniert küßte und sich sichtlich nichts daraus machte, daß die anderen zusahen.
Instinktiv zog sie sich von der Gruppe am Flügel zurück und begab sich in die Sitzecke, auf der sie am vergangenen Abend Platz genommen. Sofort war der Graf wieder an ihrer Seite.
„Möchten Sie zu Bett gehen?“ fragte er.
„Wenn Sie mich nicht für unhöflich halten“, erwiderte sie, „ich bin sehr müde.“
„Das kommt davon, wenn man so früh aufsteht“, sagte er. „Ich hielte es für eine gute Idee, wenn Sie es die anderen gar nicht merken ließen, daß Sie sich zurückziehen.“
Minella bedankte sich mit einem erleichterten Lächeln. Er führte sie wie am Abend zuvor aus dem Salon, und an der Treppe reichte sie ihm die Hand.
Er nahm sie in die seine, küßte sie aber nicht, sondern sah sie nur fest an und sagte leise: „Gehen Sie zu Bett, Minella; ich werde auch bald folgen.“
Sie lächelte ihn an und lief dann die Treppe hoch. Da er ebenfalls einen langen Tag gehabt hatte, hielt sie es für vernünftig, daß er nicht zusammen mit den anderen bis drei Uhr morgens durchfeiern wollte.
In ihrem Zimmer angelangt, wollte sie gerade Rose läuten, als ihr einfiel, daß sie auch sehr müde sein mußte, weil sie den ganzen Tag ihre Kinder um sich gehabt hatte.
Statt ihr zu läuten, beschloß sie, zu ihr zu gehen und sich das Kleid aufhaken zu lassen. Das Läuten hätte auch das Baby wecken können und Rose ganz sicher eine weitere schlaflose Nacht bereitet.
Sie brauchte nicht lange, um den Gang hinunterzugehen und dann leise an Roses Kammertür zu klopfen.
Da ihr niemand antwortete, trat sie leise ein. Neben dem Bett auf dem Nachttisch brannte eine Kerze. Rose lag vollständig bekleidet mit Häubchen und Schürze auf dem Bett und war fest eingeschlafen. Ebenso das Baby in der Wiege daneben.
Ein Geräusch in der anderen Ecke der Kammer machte sie auf Elspeth aufmerksam, die sich in ihrem Kinderbettchen aufgerichtet hatte.
„Ich hab’ solchen Durst“, jammerte sie schlaftrunken.
Minella war mit wenigen Schritten bei ihr und hob sie aus dem Bett.
„Wenn du mit mir kommst“, flüsterte sie der Kleinen zu, „bekommst du was zu trinken. Aber wir dürfen Mami nicht aufwecken. Sie ist schrecklich müde.“
„Mami ist müde“, lispelte Elspeth und kuschelte sich in Minellas Arme.
Bevor Minella das Zimmer verließ, legte sie zwei Gardenien in Elspeths Bettchen, damit Rose Bescheid wußte, falls sie zwischendurch erwachte und ihre kleine Tochter vermißte.
Auf Zehenspitzen verließ sie das Zimmer, schloß die Tür leise und ging dann den Gang zurück.
Das kleine Mädchen fand das Ganze aufregend und spannend. Es ließ sich in Minellas Bett legen und zudecken.
„Du wirst heute nacht bei mir schlafen, Kleines“, sagte Minella leise. „Haben wir nicht ein schönes großes Bett?“
„Fein groß!“ strahlte Elspeth und spielte mit dem Spitzentaschentuch, das Minella ihr gegeben hatte. Sie trank ein halbes Glas Wasser und war bereits eingeschlafen, als Minella sich endlich ihres Kleides entledigt hatte.
Vorsichtig legte sie sich neben das Kind und bettete den kleinen Lockenkopf an ihre Schulter.
„Ich schlaf so gern bei dir!“ murmelte das kleine Mädchen.
„Dann träum schön, und wenn wir aufwachen, ist schon Morgen.“
Mit einem befriedigten Seufzer, als hätte sie genau das hören wollen, kuschelte sich Elspeth in die Kissen. Als Minella die Kerze ausblies, waren die Augen des Kindes fest geschlossen.
Nach einem kurzen Gebet schlief sie auch ein.
Eine halbe Stunde später war es, als der Graf die Verbindungstür zwischen seinem Schlafzimmer und dem Boudoir, das zu Minellas Räumlichkeiten gehörte, öffnete.
Ein Leuchter mit einer brennenden Kerze stand auf dem Tisch, und weitere drei Kerzen befanden sich auf dem Kaminsims. Sie
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