Gene sind kein Schicksal
Intervention« würde die Menschen schwer beeindrucken und sei ein hervorragender Träger des Placebo-Effekts.
Unterm Strich wirken Nadeltherapien sogar besser als manche Standardverfahren der Schulmedizin, zumindest bei den Volksleiden Knie- und Rückenschmerzen. Im Zug der Initiative Akupunkturstudien (German Acupuncture Trials, kurz: Gerac [89] ) haben deutsche Mediziner 1162 Patienten mit Rückenschmerzen und 1039 Patienten mit Knieschmerzen untersucht. Sie wurden drei Gruppen zugelost. Die Mitglieder der ersten haben Mediziner nach dem Standard der Schulmedizin verarztet. In der zweiten Gruppe gab es Nadeltherapie nach chinesischem Vorbild. In der dritten Gruppe schließlich erhielten die Testpersonen bloße Scheinakupunkturen: Die Prüfärzte stachen die Nadeln einfach an beliebigen Stellen und nur sehr oberflächlich in die Haut.
Hinsichtlich der Wirkung konnte zwischen der fernöstlichen Akupunktur und der Schein-Nadelung kein Unterschied festgestellt werden. Trotzdem aber schnitten die Verfahren der Schulmedizin generell schlechter ab als die zwei Akupunkturvarianten: Von den Rückenkranken, die mit fernöstlicher Akupunktur behandelt wurden, gaben 47 , 6 Prozent deutlich weniger Beschwerden an; bei Schein-Nadelung lag der Vergleichswert bei 44 , 2 Prozent. Die Standardtherapie lag abgeschlagen zurück: Gerade einmal 27 , 4 Prozent der Probanden fühlten sich nach der schulmedizinischen Behandlung besser. Ein ganz ähnliches Bild zeigte sich bei den Kniekranken.
Im Unterschied zu den Schulmedizinern verstehen es die Nadeltherapeuten offensichtlich viel besser, die Hoffnung ihrer Patienten zu wecken. Der beteiligte Arzt Heinz Endres von der Universität Bochum und seine Kollegen sagen, dass »Akupunktur bedingt durch eine Kombination unspezifischer Faktoren ein ›Superplacebo‹ darstellt«.
Zuversicht für alle Heiler
Diese Erkenntnis passt zu Erfahrungen, wie sie der Arzt und Medizinanthropologe Cecil Helman in anderen Teilen der Welt gesammelt hat. Er hat Schamanen in Südamerika und Afrika studiert, ein Lehrbuch [90] zum Zusammenhang von Kultur und Gesundheit vorgelegt und fast 30 Jahre lang als Hausarzt in einem Vorort von London gearbeitet. Medizin sei in allen Kulturen ein Bühnenstück, konstatiert Helman: »Die Praxis des Doktors, die Krankenstation, der heilige Schrein oder die Hütte des Naturheilers können wir mit einem Theater vergleichen, voll mit Kulissen, Requisiten, Kostümen und einem Drehbuch.«
Dieses Skript ist Menschen seit Urzeiten vertraut. Als europäische Siedler sich in Amerika niederließen, trafen sie allerorten auf Menschen, die noch wie Jäger und Sammler lebten und eine Medizin mit Trommelschlägen, Gebeten und Tänzen betrieben. Das Spektakel dieser Indianer wurde von westlichen Ärzten als Quacksalberei verspottet – viele der ersten Siedler jedoch waren fasziniert von den außergewöhnlichen Heilkräften, die der Schamane übertrug.
Die Medizinmänner versuchten beispielsweise, das Böse mit dem eigenen Mund aus dem kranken Körperteil zu saugen – offenbar ein mustergültiger Einsatz des Placebo-Effekts.
Das neue Verständnis vom Placebo-Effekt sollte die Medizin verändern. Beispielsweise könnten Arzneimittelstudien schon bald völlig anders organisiert werden. Gegenwärtig kümmern sich viele Prüfärzte geradezu rührend um ihre Probanden: Jeden Tag fragen sie deren Befinden ab und bemühen sich persönlich – ungewollt lösen sie damit einen gewaltigen Placebo-Effekt aus. Und der macht es schwer, die pharmakologische Wirksamkeit der Testsubstanz zu erkennen. Immer wieder haben sich Mittel, die zunächst großartige Ergebnisse erbrachten, am Ende als pharmakologisch wirkungslos erwiesen – die Forscher hatten die von ihnen ausgelösten Placebo-Effekte unterschätzt.
Ein Ausweg wäre es, den Probanden die Verordnung heimlich zu verabreichen. Fabrizio Benedetti und seine Kollegen haben das bereits an Patienten ausprobiert, die nach Operationen über Schmerzen klagten. [91] Die Patienten der einen Gruppe waren jeweils allein in einem Raum und an eine Infusionsmaschine angeschlossen. Diese Maschine verabreichte ihnen Schmerzmittel, was ihnen allerdings niemand verriet. Patienten in der Kontrollgruppe dagegen bekamen es mit einem Arzt aus Fleisch und Blut zu tun. Der Doktor trat an sie heran, lobte das Schmerzmittel in den höchsten Tönen und verabreichte es den Patienten mit den eigenen Händen.
Die Forscher gaben den Patienten beider Gruppen
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