Geraeuschkiller - Mutige Liebe
atmete stockend bei diesen Worten, offenbar kostete es ihn
Mühe sie auszusprechen.
»Wenn du
nicht auf der Stelle den Mund hältst, dann kommst du mir nicht mehr ins
Wohnzimmer rein – hast du verstanden?«, sagte sie. Und es knirpste und
knisterte, als stopfte sie sich gerade eine Handvoll Chips in den Mund.
»Das sagst
du immer …«, murmelte der Junge. »Du hörst mir nie zu. Manchmal hab ich das
Gefühl, dass es mich gar nicht gibt.«
Doktor
Allgrif überschlug sich vor Begeisterung: »Raschkes Rapidweißpaste – das ist
Ihre Wahl, denn Sie wissen, was gut ist für Ihre Familie!«
Clara
glaubte, das blendende Zahnersatzlächeln zu sehen, das er dabei aufsetzte.
»Mama«,
sagte der Junge, »ich muss fortgehen. Für lange Zeit!»
»Ins
Internat gehörst du«, schimpfte sie und mampfte weiter ihre Chips. »Dann hätten wir hier endlich mal Ruhe.«
»Ich weiß nicht, ob ich wiederkomme«, die Stimme des Jungen wurde
immer dünner.
»Du nervst!«, schrie sie.
Doktor
Allgrifs Routinegeplapper ging weiter und das Knirpsen ging weiter, als würde
sich die
Frau eine Handvoll Chips in den Mund stopfen.
Dann fiel
die Geistertür zu. Schritte entfernten sich, begleitet von einem leisen
Klirren.
Mit einem
Mal hörte Clara ein feines Fließgeräusch. Es war, als würde Wasser von allen
Seiten in die Bibliothek strömen. Von der Decke, von den Wänden schien es zu
fließen, durch die Fensterspalten und Türspalten schien es zu kommen.
Clara
hörte, wie es ihre Beine umspülte. Ganz deutlich hörte sie es.
Aber sie
sah es nicht.
Das Wasser
stieg und stieg. Jetzt gurgelte es um ihre Hüften. Sie stand mit hoch erhobenen
Armen da. Schaute bestürzt an sich herunter. Das Wasser war da und war doch
nicht da. Sie glaubte klitschnass zu werden, sie spähte die Wände hinauf, suchte
mit Blicken den Boden ab.
Alles war
trocken.
Doch das
Wasser stieg und stieg, erreichte ihren Hals, gluckerte um ihre Ohren. Und sie
spürte eine Traurigkeit in sich aufstiegen, so bleiern schwer, dass sie glaubte
die Last drücke sie zu Boden.
Jetzt
erreichte das Wasser plätschernd ihre Augen, und ihr schien, als ergieße sich
eine Flut von Tränen ins Zimmer. Und stieg weiter, immer weiter, bis sie
glaubte darin zu ertrinken.
Mit aller
Macht drückten die Wassermassen gegen die Zimmerdecke, gegen die Mauern. Gleich
würden sie zerbersten wie ein Staudamm, der dem Druck des Wassers nicht mehr
standhalten kann. Clara wollte weinen, nur noch weinen.
Plötzlich
hörte sie ein Geräusch, als würde das Wasser um sie herum sekundenschnell zu
Eis gefrieren. Mit einem Mal glaubte sie sich in einem riesigen Eisblock
gefangen. Dann, ein Ächzen, als schnellte ein Riss durch einen vereisten See.
Geradewegs an Claras Ohren vorbei ging der Riss durchs Zimmer.
Dragu nahm
wie in Trance seine Hand vom grünen Smaragg. Sogleich war der Spuk vorbei.
Er atmete schwer.
Es dauerte
lang, bis er Claras Augen suchte. Unmöglich, dass sie erriet, was sich gerade
abgespielt hatte. Dennoch versuchte er zuversichtlich zu klingen:
»Noch ein
bisschen Mut, Clara«, sagte er und strich ihr übers Haar. »Du schaffst es.«
Clara legte
beide Hände vors Gesicht. Zeit gewinnen, dachte sie. Die Traurigkeit steckte
ihr in allen Gliedern, sie konnte sie nicht abschütteln. Ich muss Zeit
gewinnen. Nur kein falsches Wort.
»Also …«,
begann sie. Aber sie konnte nicht weiterreden. Sie setzte noch einmal an. »Du …
du brichst auf, um Ramida zu suchen.«
Sie hielt
inne. Ich kann nicht mehr denken, es dreht sich alles im Kreis, alles im Kreis.
Dragu beobachtete sie angespannt.
Rede! Denk
nicht, flüsterte es in ihr, denk nicht, sonst wirst du verrückt. Sie sagte: »Du
weißt, wie sie ist … ich meine ... deine Mutter. Du weißt, dass sie Ramida
nicht ausstehen kann.«
Sie
stockte. »Aber du, ... du willst es versuchen, ... du willst ihr erzählen von
der Entführung. Irgendwie ... hoffst du, dass sie dich anhört, dass sie
dir hilft. ... Sie hört zwar deine Worte, ... aber dich hört sie nicht.
Ihr Herz ist taub ... für dich.«
Sie hielt
inne. Wartete. Dragu schaute geistesabwesend auf seine Hände.
»Ich weiß
nicht, was das war zwischen Mutter und mir«, sagte er schließlich, und jeder Satz
schien ihn anzustrengen. »Ich kam mir zu Hause immer vor wie ein Fremder. Weißt
du, so, als würde ich eine Fremdsprache sprechen. Irgendwie hat sie mich nie
verstanden. Es war, als würden wir zwei verschiedene Sprachen sprechen … Wie
soll ich dir
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