GK0208 - Im Haus des Schreckens
nahm ihren Koffer und folgte Mrs. Longford in ihre Wohnung.
Das Zimmer war vollgestopft mit alten Möbeln. Es roch muffig und nach Staub. Überall standen Figürchen herum. Auf den kleinen Tischchen lagen selbstgehäkelte Decken. An den Wänden hingen Bilder, die allesamt düstere Motive zeigten. Auf einem Bild war sogar eine stilisierte Satansfratze zu sehen.
Mrs. Longford bat Jane, Platz zu nehmen.
Die Detektivin setzte sich an einen runden Tisch. Unter der Stuhlbespannung spürte sie eine Sprungfeder.
»Lydia ist wohl nicht da?« fragte Jane.
»Ich habe Sie nicht verstanden, mein Kind«, rief Mrs. Longford. Sie war durch eine offen stehende Schiebetür in einen anderen Raum gegangen.
Jane wiederholte ihre Frage, als Mrs. Longford zurückkam. Die Hausbesitzerin trug ein Tablett, auf dem eine Teekanne und zwei Tassen standen. Würziger Geruch breitete sich aus.
Mrs. Longford stellte das Tablett auf den Tisch und entnahm einem Schrank eine kleine Dose mit Kandiszucker.
»Ich muß Sie enttäuschen, Miß Collins. Lydia Rankin wohnt nicht mehr hier.«
Jane blickte auf. Ihre Hand, die schon die Teekanne berührt hatte, glitt wieder zur Seite. »Das verstehe ich nicht.«
Mrs. Longford setzte sich ebenfalls. Sie goß Tee in ihre und Janes Tasse.
»Nehmen Sie auch Zucker?«
»Ja.«
Mrs. Longford schob Jane die Zuckerdose hinüber. Mit einer kleinen Zange nahm Jane zwei Stückchen Kandis heraus und ließ sie in die Teetasse fallen. Sie wußte, warum die Longford sich so lange Zeit mit der Antwort ließ. Wahrscheinlich mußte sie sich erst noch eine Ausrede zurechtlegen.
Als sie sich dann noch umständlich ein Zigarillo anzündete, wäre Jane bald der Kragen geplatzt. Nur mühsam konnte sie sich beherrschen.
Mrs. Longford paffte eine dicke Rauchwolke. »Also das ist so, Miß Collins. Lydia Rankin wohnt wie gesagt nicht mehr hier.«
Jane spielte die Überraschte. »Nicht mehr?« fragte sie und ließ die Teetasse sinken.
Mrs. Longford nickte betrübt. »Ja, leider.«
Du falsches Luder, dachte Jane. Sie fragte aber: »Wieso denn nicht? Was ist passiert? Aus welchem Grund ist Lydia denn ausgezogen? Und so plötzlich. Sie hat mir gar nichts davon geschrieben.«
Wieder produzierte die Longford eine dicke Rauchwolke. »Auch für mich kam ihr Entschluß überraschend. Gestern morgen – wir hatten den Abend davor noch nett zusammengesessen – stand sie plötzlich in der Halle. Mit zwei Koffern. Ich fragte, was los sei. Ich ziehe aus, lautete die Antwort. Mehr nicht.«
»Hat sie denn keine Gründe genannt?« hakte Jane nach.
»Nein, ich sagte es Ihnen doch schon.«
Jane schüttelte den Kopf. »Seltsam.«
»Aber da wird bestimmt irgendein Kerl dahinterstecken«, vermutete Mrs. Longford. »Lydia war ein hübsches Mädchen.«
»Sie reden von ihr, als wäre sie gar nicht mehr am Leben«, sagte Jane Collins.
»Ach so, entschuldigen Sie.« Die Frau schlug sich mit dem Handrücken gegen die Stirn. »Ich meine natürlich, sie ist ein hübsches Mädchen. Und wie ich die Männer kenne, werden sie ihr genügend Anträge gemacht haben. Lydia kam vom Lande, hatte keine Erfahrung mit dem Moloch Großstadt. Sie ist bestimmt leicht zu beeinflussen gewesen.«
»Tja«, sagte Jane und senkte den Blick. »Das alles habe ich wirklich nicht gewußt. Dann hat es wohl keinen Zweck, wenn ich noch hier bei Ihnen bleibe.«
»Aber nicht doch«, rief die Frau. »Wo wollen Sie denn hin, Kind?«
»Irgendwo werde ich schon ein Zimmer bekommen.«
»Und dann unter die Räder kommen, wie? Nein, nein, Miß Collins, das kommt nicht in Frage. Sie bleiben bei mir wohnen. Sie können sogar Lydias Zimmer haben.«
Jane lächelte dankbar. Mit leiser Stimme sagte sie: »Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll. Wenn ich Sie nicht hätte…«
Mrs. Longford winkte ab. »Geschenkt, mein Kind. Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihr Zimmer.«
Jane traute sich noch nicht, aufzustehen. »Und die Miete?« fragte sie.
»Ich meine… ich habe nicht sehr viel Geld. Ich muß mir erst noch eine Arbeitsstelle suchen.«
»Darüber reden wir noch«, erwiderte die Longford. Sie legte ihr Zigarillo in einen Aschenbecher. »Wissen Sie, ich kann es nicht leiden, wenn junge hübsche Mädchen so in der Großstadt verkommen. Mich hat damals auch jemand aufgenommen.«
»Dann haben Sie schon immer hier gewohnt?« wollte die Detektivin wissen.
»Ja, fast. Seit meinem zweiten Lebensjahr. Der frühere Hausbesitzer hat mich aufgenommen. Nach seinem Tode hat er mir dieses
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