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Gottes Gehirn

Gottes Gehirn

Titel: Gottes Gehirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Johler , Olaf-Axel Burow
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Er musste lange warten, bevor jemand abnahm. Aber schließlich hörte er die Stimme: „Lieutenant Ross?“
    Er wollte seinen Namen sagen, doch bevor er noch einen Laut herausbrachte, schob sich von hinten eine Hand an ihm vorbei und drückte auf die Gabel.

MARCONI
     
    „Lansky?“, rief Marconi aus. „Der ist doch – verzeihen Sie, wenn ich so despektierlich über einen Toten rede – aber der Mann war doch eine traurige Gestalt. Nicht mehr ernst zu nehmen. Wobei ich gern zugebe, dass ich ihn niemals ernst genommen habe. Das hängt natürlich mit meinen Forschungen zusammen, mit den Ergebnissen, zu denen ich in den vergangenen zwei Jahrzehnten gekommen bin. Denn eines sollten wir uns klar machen: Wenn wir dem letzten großen Menschheitsrätsel – dem Phänomen des Bewusstseins – auf die Spur kommen wollen, dann dürfen wir nicht in die KI-Falle tappen. Lansky, Moravec, Turner und wie sie alle heißen, die Leute sind doch eindimensional, beschränkt! Unser Gehirn ist mehr als die Hardware für ein Computerprogramm! Unser Bewusstsein ist etwas anderes als ein System von Algorithmen. Der Körper denkt mit! Kommen Sie“, sagte er einer spontanen Eingebung folgend und eilte mit so schnellen Schritten aus dem Raum, dass Troller und Jane Mühe hatten, ihm zu folgen.
    Jane sah so solide aus, wie Troller sie noch nie gesehen hatte. Er hatte sie mit offenem Mund und blöden Augen angestarrt, als sie vor ein paar Stunden die Hand auf die Telefongabel gedrückt hatte. Sie trug ein biederes graues Kostüm, hatte die Haare nach hinten gekämmt und mit einer Schildpattspange zusammengesteckt. Ihre Füße steckten in flachen Schuhen, in denen sie einen etwas watschelnden Gang hatte, und auf ihrer Nase saß – als einziger Farbtupfer – eine grässliche türkisfarbene Brille, mit der das Mauerblümchen seinen Mut zum Exzentrischen bewies.
    „Du lebst?“, hatte er gestammelt. „Ich meine – du – ich – das Auto – ich hab gedacht . . .“
    „Mir war auf einmal eingefallen, dass ich das Kostüm noch abholen musste“, sagte sie, „deswegen hab ich dann doch dem Hoteldiener den Schlüssel gegeben.“
    Troller hatte natürlich versucht, sie davon zu überzeugen, dass sie jetzt unbedingt Lieutenant Ross anrufen müssten, aber Jane war entschieden dagegen gewesen. „Jetzt, wo wir schon so weit gekommen sind, können wir doch nicht aufgeben“, sagte sie. „Wenn wir Ross anrufen, sind wir die Sache los. Und wenn die Polizei was herausfindet, haben unsere amerikanischen Kollegen die Nase vorn.“ Und schon hatte sie ein Taxi gewunken und mit dem Fahrer den Preis für eine Zweihundert-Meilen-Tour ausgehandelt. Ihre Kostümierung hätte etwas mit Marconis Frau zu tun, hatte sie gesagt. „Du wirst schon sehen.“
    Marconi war ihnen vorausgeeilt, einen langen, hell erleuchteten Gang hinunter, an dessen Wänden Aquarelle und Zeichnungen von erstaunlicher Qualität hingen. Bilder von Patienten? Marconi wartete an einem Fahrstuhl, dessen Tür er leicht ungeduldig für sie offen hielt, und fuhr mit ihnen in den fünften Stock hinauf. Sie betraten ein helles, freundliches Zimmer, in dem eine ältere Dame mit bläulich gefärbten Haaren und mächtig viel Schmuck an den Fingern in einem Sessel saß.
    „Hallo, Wilma“, sagte Marconi, „wie geht’s Ihnen heute?“
    „Danke“, sagte die Frau mit einem etwas schleppenden Tonfall, und jetzt erst bemerkte Troller, dass ihre linke Gesichtshälfte schlaff herabhing und die linke Hälfte des Mundes nicht mitmachte, „ich mache mir nur Sorgen um meine Enkelin.“
„Was ist mit Ihrer Enkelin?“
„Sie hat sich in einen DJ verliebt.“
„Was ist daran schlimm?“
„Er ist . . .“
„Nun?“
    „Er ist schwarz. Afroamerikaner, wie man heute sagt. Kommt von irgendwo aus der Karibik. Hat diese schrecklichen Haare, die wie Schlangen aussehen, trägt bunte Ketten um den Hals, und erzahlen Sie mir nicht, dass er kein Rauschgift nimmt, diese Burschen nehmen alle Rauschgift. Und nicht nur Haschisch, sondern Kokain, Ecstasy, Speed und was nicht alles noch!“
„Ist bedenklich, Wilma“, sagte Marconi, „das gebe ich zu. Aber Ihre Enkelin muss schließlich selbst wissen, was sie tut. Wie alt war sie noch mal?“
„Neunzehn.“
„Na, also“, sagte Marconi in einem Tonfall, der besagte: Wer neunzehn ist, muss wirklich selber wissen, ob er sich für Speed oder Kokain entscheidet. „Aber wenn Sie sich solche Sorgen um sie machen, warum fahren Sie nicht einfach zu ihr nach New York und

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