Gott´sacker (Krimi-Edition)
Alt-Pfarrer-Domizils hineinstürmte. Hinter mir hörte ich einen Schmerzensschrei. Hildegard bekam die zurückwippenden Zweige meiner Heckendurchquerung ins Gesicht.
»Pass doch auf!«
Und dann standen wir beide, ich etwas atemloser, jedoch im Gesicht streifenloser als Hildegard, auf der Veranda.
»Hallöööchen, Herr Pfarrer, der tut nichts. Herzliches Beileid noch …, der will nur spielen.«
Ich wusste schon immer, dass Hildegard beim Verteilen der Intelligenz nicht drangekommen war. Ich wusste auch, dass der Alte mit keinem Hund spielen würde, ich war mir sicher, dass er gerade sein Luftgewehr holte, mit dem er die Katzen, die unberechtigt sein Grundstück betraten, anschoss.
»Hallo, Herr Pfarrer, Entschuldigung … Müllers Hund …«
Nur langsam gewöhnten sich meine Augen an das Düstere, als ich durch die Verandatür ins Studierzimmer trat. Mir wäre es allerdings lieber gewesen, meine Augen hätten sich überhaupt nicht an den düsteren Raum angepasst und ich hätte dieses Bild nie gesehen.
Auf dem Boden, neben dem Sessel, lag der ehemalige Pfarrer von Riedhagen. Nicht eine Spur Leben war noch in seinem Körper. Das hätte allein schon das große gusseiserne Kreuz verhindert, das aus der Mitte seiner Brust herausstand. Die Augen waren geschlossen und sein Gesicht sah, die eigene Situation missverstehend, friedlich aus. Was hell aus dem Mund herausragte, war nicht die Zunge, sondern eine kleine herausgeschnittene Seite eines Buches mit winzigen Schriftzeichen. Die bleichen Hände waren auf der Brust nachlässig gefaltet, wobei zwischen Zeige- und Mittelfinger der linken Hand das Eisen des Kreuzes emporstieg. Unter dem bleichen Kinn des Pfarrers lag wie zur Entschuldigung ein welkes Sträußlein Gänseblümchen.
Die Schmerzen in meinem linken Oberarm wurden stärker. Hildegard drückte immer heftiger zu.
»Was ist denn hier passiert? Wo ist der Kleine bloß hin? Ruf doch den Krankenwagen, Dani!«
Die Wahrscheinlichkeit, innerhalb von einer Woche zwei Leichen zu finden, ist in Friedenszeiten relativ gering.
»Ruf doch schon an. Vielleicht kann man da noch reanimieren. Tu doch endlich was und steh nicht so blöd rum! Ich glaube, der atmet noch.«
Jetzt erst konnte ich mich von diesem grotesken Bild losreißen, kniete mich neben den Alten und versuchte, den Puls zu fühlen. Die Hände waren schon kalt und steif. Selbst Jesus hätte ihn nicht mehr wiederbeleben können.
»Tu doch was, reanimier ihn«, schluchzte Hildegard.
Ich drückte ihr mein Handy in die Hand: »Ruf bei der Polizei an.«
Voller Grauen schaute ich mir den Zettel im Mund des Toten genauer an. Als ich mich zögerlich überwindend ganz nahe über das wächserne Gesicht beugte, meinte ich, schon einen leichten Geruch des Todes zu verspüren.
Es war eine kleine Seite, wahrscheinlich eine Textstelle aus der Bibel, mit rotem Stift waren Verse eingekreist, nervös versuchte ich die Worte zu lesen, konnte aber in Anbetracht der makabren Situation und meines vor Aufregung zitternden Kopfes lediglich ein paar Begriffe der winzigen Schrift entziffern:
›… erfüllte sich, … Propheten Jeremia …
… Geschrei … Rama … lautes Weinen … Klagen
Rahel weinte … Kinder … trösten … sie waren dahin.‹
Zur Sicherheit holte ich meine Kamera heraus und hielt alles, was mir wichtig erschien, in digitaler Qualität mit sieben Millionen Pixel fest. Vollautomatisch wurden Blende und Zeit berechnet, auch der Blitz benötigte kein Eingreifen meinerseits. Nichts im Raum ließ ich aus, vor allem den kleinen Zettel im Mund des Getöteten versuchte ich mit der Makro-Funktion der Kamera bestmöglich abzulichten.
»Lass doch den Blödsinn mit dem doofen Fotoapparat. Tu lieber was!«
Inzwischen war der Zwergenköter wieder aufgetaucht, somit hatte die nervende Hilde ein ihrem Intelligenzquotienten angemessenes Betätigungsfeld gefunden und ich endlich meine Ruhe, die jedoch nicht lange währte.
Die verstörte Hildegard rannte mit dem Hündchen auf dem Arm sofort zu Müller und erzählte, was sie im Nachbarhaus vorgefunden hatte. Müller ging durch die Hecke wie ein Raddampfer, in seinem Strudel der Steinmetzmeister und seine beiden türkischen Arbeiter. Gerade als ich meine intensive Fotoarbeit erledigt hatte, kamen die vier mit ihren schmutzigen Gummistiefeln hereingestürmt. Als sich der erste Schock gelegt hatte, trampelten sie durch das Studierzimmer des Toten und beäugten diesen aus jeglichem Winkel.
»Nichts anrühren,
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