Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
bei dir!«
»Wie bist du rauf auf den Berg gekommen?« wollte Roç wissen.
»Ganz einfach«, fabulierte ich. »Des Nachts, keiner hat mich gesehen!«
»Keiner hat auf dich geschossen?« Roç blieb ungläubig.
»Es war nämlich Kriegs«, pflichtete ihm Yeza bei.
»Ich war ganz leise und sehr flink!«
Die beiden sahen mich zweifelnd an und schwiegen.
»Gut, William«, meinte Roç, »dann kannst du uns ja auch hier wieder rausholen. Wir wollen nämlich nicht hierbleiben!«
Das war mit solcher Bestimmtheit erklärt, daß ich mir Sorgen machte, wie ich sie nicht enttäuschen sollte. »Ich weiß ja nicht einmal, was man mit mir vorhat –«
»Das kannst du hören.« Roç stand auf und winkte mir, ihm zu folgen. Ich dachte erst, es wird etwas mit dem K a min sein, doch er schritt zielstrebig in die entfernteste Ecke des großen Raumes, der dort eine Viertelrundung aufwies, was mir vorher nicht aufgefallen war. Und die Decke oben war ebenfalls gewölbt und wies im Zenith ein Loch auf. Er zog mich genau unter die Öffnung – ganz klar waren die Stimmen zu vernehmen:
»… ihn hierher mitzuschleppen, lieber Elia, war wir k lich nicht nötig!«
Das war wohl die Stimme des alten Herrn, den ich unten im Garten mit der Gräfin gesehen hatte, und Elia antwort e te: »Ic h w ollte in solch delikater Frage nicht allein die En t scheidung treffen – und Euer Schreiben, lieber Freund Turnbull, hat mich ja leider nicht erreicht.«
Also, zählte ich zwei und zwei zusammen, mußte es sich bei dem mit ›Turnbull‹ Angeredeten um niemand and e ren als den Verfasser des ›Großen Plans‹ handeln. Da saß ich nun, und über meinen Kopf braute sich die Ve r schwörung gegen alle mir vertrauten Welten zusammen.
»Soweit mir bekannt, werter Elia –« Diese Stimme kannte ich nicht; sie hatte einen fremdländischen Akzent.
Yeza kam mir zu Hilfe: »Das ist der Musselmann«, flü s terte sie, »mit dem Turban! Einem richtigen Turban –«
»Sei doch still!« rügte sie Roç. »Wir verstehen sonst nichts!«
»- galtet Ihr früher als ein General, der nicht viel Fede r lesens machte mit seinen Mitbrüdern –« Er räusperte sich, und sein Ausdruck wurde kalt und präzise. »Es war doch allen Eingeweihten dieses Unternehmens von Anfang an klar: Wer es gefährdet, ist des Todes!« Er ließ das lange schweigend im Raum stehen, bevor er fortfuhr: »Jeder we i tere Mitwisser kann nur Gefahr bedeuten und ist d a her zu eliminieren, und zwar unverzüglich!«
Oje, armer William, dachte ich, das ist dein Todesurteil. Hätte ich doch nur nicht auf Elia vertraut; in Cortona hätte ich nachts leicht das Weite suchen können. Jetzt war es zu spät. Ich hoffte auf ein Wort von Elia, doch es meldete sich die Gräfin zu Wort:
»Zu viele Augen haben ihn herkommen sehen. Ich halte es für ungeschickt, ihn auf Otranto verschwinden zu la s sen; es würde unnötigen Verdacht auf uns lenken. Lassen wir ihn doch laufen und besorgen seine Liquidierung unte r wegs, ungesehen -?« Wie dankbar ich ihr war für diesen Aufschub.
»Ein Unfall auf der Reise –« stimmte ihr auch der alte Herr sofort zu, und Elia nahm das rettende Angebot e r leichtert an.
»Er könnte die Baustelle von Castel del Monte bes u chen, wo mein Kaiser sich gerade ein Jagdschloß baut – und dabei vom Gerüst stürzen!«
»Warum nicht noch komplizierter?« höhnte der scharfe Muslim. »Ihr wißt wohl nicht, wie schnell und einfach man Verräter beseitigt? Laßt das nur meine Sorge sein, ich habe meine Leute dafür. Ich nehme sie nie umsonst mit, wie sich wieder einmal zeigt!«
»Aber außerhalb meiner Bannmeile!« hakte die Gräfin in besorgter Autorität nach.
»Auf Eure berühmte Gastfreundschaft, liebe Gräfin, wird kein Schatten fallen!«
»Dann laßt uns essen, meine Herren!« Und ich hörte ein zustimmendes Murmeln und sich entfernende Schritte.
»Ah, Mittagessen!« sagte Roç. »Dann müssen wir auch gehen, sonst suchen sie uns!«
»Kriegt William denn kein Essen?« Yeza zeigte wenig s tens Mitgefühl für mein leibliches Wohl, obgleich mir jeder Appetit vergangen war. Henkersmahlzeit!
»Nach dem Essen müssen wir immer ins Bett, dann kommen wir dich wieder besuchen!«
Yeza zog den Teppich weg, ich hob die Klappe, und sie schlängelten sich in das Loch, das für mich tatsächlich zu eng war.
Ich rückte das Bett wieder zurecht und legte mich hin. Ich starrte hinauf zu der Öffnung in der Decke und bild e te mir ein, eine Schlange käme züngelnd aus ihr gekr o
Weitere Kostenlose Bücher