Grimes, Martha - Inspektor Jury gerät unter Verdacht
achten Earl of Caverness und fünften Viscount Ardry et cetera zu titulieren.«
Er hob das Buch, damit er sie nicht sah.
»Du machst gerade eine Identitätskrise durch.«
Das war ja was ganz Neues!
»- deshalb solltest du das Leben ernster nehmen.« Sie schlürfte ihre dritte Tasse Tee.
Zum Teufel! Er würde Maßnahmen ergreifen müssen, um sie zum Schweigen zu bringen. Er stand auf, ging zum Schreibtisch, nahm seine Schlüssel heraus und schloß die mittlere Schublade auf. Darin lag ein Dokument. Melrose nahm es heraus, setzte sich wieder hin und fing an, das Blatt sorgfältig durchzulesen. Ab und an hielt er inne und spitzte die Lippen. Melroses neunzigjähriger (und meilenweit entfernt lebender) Nachbar hatte diesen Haufen Schwachsinn aufgesetzt: eine lange Abhandlung über die Zweige Seiner Lordschaft, die über des Nachbarn Steinmauer wucherten.
»Was liest du?«
»Mein Testament.«
Da schaffte es ihre Hand nun nicht mehr bis zum Kuchenteller. »Wozu? Stimmt was nicht? War die Lungenentzündung ernster, als wir dachten?«
Klang sie nicht ein bißchen hoffnungsvoll? »Du hast mir doch geraten, das Leben ernster zu nehmen; und das schließt ja wohl auch den Tod ein.«
»Du bist vielleicht makaber.«
Melrose blickte finster zur Seite. »Uff!«
»Was?«
»Ich glaube nicht, daß Ledbetter hier recht hat ...« Er schien mit sich selbst zu reden.
»Was meinst du? Simon Ledbetter? Die Ledbetters sind seit fünfzig Jahren die Anwälte unserer Familie.«
Melrose liebte das unserer. »Genau.«
»Wie ich dich kenne, Melrose, vererbst du Ada Crisps Rattenterrier etwas.«
»Nein. Aber Ada.«
»Also wirklich, Melrose.« Sie lachte künstlich auf. »Und dieser Withersby wahrscheinlich auch. Was schreibst du da?« Ein Hauch von Hysterie lag in ihrer Stimme.
»Ich korrigiere Simon Ledbetters Irrtum, was die Größe meines Grundbesitzes angeht.« Er malte eine Kuh aufs Papier.
Agatha sperrte den Mund auf, aber bevor sie sich wieder ins Zeug legen konnte, eilte Ruthven mit dem Whisky-und-Soda-Tablett ins Zimmer und stellte es in bequemer Reichweite des Ohrensessels ab.
»Danke schön. Bitte, könnten Sie eine telefonische Verbindung mit Simon Ledbetter herstellen? Rufen Sie ihn morgen an. Morgen früh.«
»Ja, Mylord.«
Melrose nahm einen Schluck von seinem Drink, sagte hmmmmm und machte sich wieder an die Beine der Kuh. Dann betrachtete er das Tier genauer und fing an, einen hübschen schattenspendenden Baum dazuzuzeichnen.
»Warum ergänzt du - oder Simon Ledbetter - dein Testament?« fragte sie atemlos, als ob sie an der Antwort ersticken könnte.
Melrose zeichnete einen Zweig, der über einer Steinmauer hing. Bevor er antworten konnte, kam Ruthven zurück in den Salon und sagte, der Superintendent sei am Apparat.
»Jury?« Oh, mein Gott! Jetzt hatte er eine Kuh gezeichnet, wo er sich eine Geschichte hätte ausdenken sollen.
Melrose tat natürlich beleidigt. »Seit zwei Tagen versuche ich, Sie zu erreichen. Ich habe zwei oder drei interessante Gespräche mit Miss Palutski geführt, die wissen wollte, wann ich zu Besuch käme, mir etwas von ihrem Job erzählte und mich fragte, was für ein Sternzeichen ich sei. Hammers Schmiede, habe ich ihr gesagt. Ich dachte, Sie wollten so schnell wie möglich etwas von Vivian hören.« Er kaute an seinen Lippen und hoffte, daß Jury das nicht unbedingt wollte.
»Natürlich will ich das. Ich war nur schwer zu erreichen. Steht ihr Hochzeitstermin jetzt fest? Und haben Sie den Grafen gesehen?«
»Den mit den Vampirzähnen? Nein, aber wir haben uns wunderbar lange mit Vivian unterhalten -«
Jury unterbrach ihn: »Hören Sie, es geht das Gerücht, ich sei mehr oder weniger verlobt.«
Melrose schwieg.
Trueblood hatte gesungen!
Jury schien indes den kleinen Scherz erstaunlich gut aufzunehmen, denn er klang recht frohgemut. Melrose sagte: »Ich kann aber alles erklären. Zugegeben, das mit den Kindern war übertrieben -«
»Was für Kinder? Es gibt nur eins.«
Melrose wußte nicht, was er sagen sollte. Er kratzte sich am Ohr. Ach, natürlich, Jury konnte auch ironisch sein.
»Hm, das ist ja wunderbar! Und was meinen Sie mit >mehr oder weniger verlobt« Melrose grinste den Hörer an.
»Woher soll ich das wissen? Vielleicht können Sie und Trueblood das unter sich klären.«
Melrose kicherte. »Es wäre mir eine Freude, behilflich zu sein. Und wie ist Ihre Zukünftige?«
»Hübsch, klug, humorvoll, ungefähr alles, was sich ein Mann wünschen kann. Nur, daß sie
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