Grün wie ein Augustapfel
kam nach einer Stunde heim. Die Nachricht, daß Guntram wieder im Lande sei, wirkte auf sie wie eine Sauerstoffinhalation. Sie stürzte zum Telefon, aber Guntram hatte das Hotel bereits verlassen. Sie suchte im Telefonbuch nach der Nummer des Ikaros-Verlages, aber Viktoria nahm ihr das Buch einfach weg.
»Spiel nicht verrückt, mein Herzchen«, sagte sie streng. »Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps. Du wirst es gefälligst bleibenlassen, Herrn Guntram in seinen Besprechungen zu stören!«
Manuela fügte sich grollend, aber für Viktoria wurde es ein Nachmittag, der sie an den Rand einer Nervenkrise führte. Sie erkaufte sich schließlich ihre Ruhe, indem sie Manuela gestattete, sich ein Paar neue Schuhe zu kaufen. Wie es ihr gelang, die weißen durchbrochenen Pumps tatsächlich aufzutreiben, obwohl die Geschäfte am Samstagnachmittag geschlossen waren, blieb ihr Geheimnis.
Auch Gregor schien von Manuelas Nervosität angesteckt zu sein. Er hatte sich aus dem Geschäft eine winzige Kamera mit eingebautem Blitzgerät besorgt und probierte sie seit Stunden in seinem Zimmer und auf dem Balkon aus.
»Was machst du bloß mit der Minox, Gregor?« fragte Viktoria ungeduldig, denn sie fuhr mit dem Staubsauger über den Teppich, und er lief ihr dauernd vor den Füßen herum. Wenn sie ihn statt Gregi Gregor nannte, war der Sturmball aufgezogen.
»Du siehst doch, Vicky, ich probiere das Ding aus. Wir haben heute bei Werner einen kleinen Budenzauber. Die ganze Klasse. Wir wollen die Bierzeitung für die Abschlußkneipe zusammenbauen. «
»Wie steht es übrigens mit Walter Scholz?«
»Wir werden ihn schon irgendwie durchschleppen«, murmelte er und kratzte sich die Nase. Er visierte Viktoria an und bekam in der Balkontür auch Manuela in den Sucher: »He, Prinzeß Trotzköpfchen, was hast du denn heute abend vor? So groß in Schale?«
Viktoria drehte sich um und musterte Manuela kritisch. Sie hatte das Kleid mit dem Rosenmuster gewählt. Die großen Blüten in Farbtönen zwischen hellem Rot und sattem Purpur leuchteten zwischen einem Blattgerank und dunklem, lackartig schimmerndem Grün. Der breite Gürtel war so fest um die Taille gezogen, daß sie kaum noch atmen konnte. Sie wirkte in dem Kleid, als sei sie gestern sechzehn geworden.
»Ich hätte an deiner Stelle etwas anderes angezogen.«
»Weshalb? Es ist mein hübschestes Kleid.«
»Das schon, aber du siehst darin aus wie ein Mannequin aus der Teenager-Abteilung...«
»Was willst du damit sagen, Vicky?«
»Nichts«, murmelte Viktoria. Sie wandte sich dem blitzenden Gregor zu. Vor drei Tagen hatte sie ihm neue Blue jeans gekauft. Er hatte sich mit ihnen in die Badewanne gesetzt und sie auf dem Balkon am Körper trocknen lassen. Jetzt spannten sie sich wie ein Trikot um seine muskulösen Oberschenkel. Es war nicht anzusehen!
»Du wirst ein neues Hemd und anständige Hosen anziehen.«
»Wozu diese Krämpfe?« maulte er.
»Weil Herr Guntram Manuela abholt, und weil ich nicht haben will, daß er dich für einen südamerikanischen Pferdedieb hält.«
»Irgendwo auf dem Speicher hängt noch Papas Frack im Mottensack. Vielleicht sollte ich den anziehen, wenn es ein festlicher Empfang werden soll.«
Viktoria sah aus, als messe sie, mit dem Handstück des Staubsaugers in der Rechten, die Entfernung zu Gregors Kopf ab, und der junge Mann zog es vor, in sein Zimmer zu verschwinden. Er kam nach zehn Minuten in einem Anzug zurück, den er bei seiner Konfirmation getragen hatte. Es war ein Rätsel, wie er sich überhaupt hineingezwängt hatte. Alle Nähte krachten. Die Ärmel reichten bis zum Ellenbogen und die Hose knapp übers Knie. Manuela bekam bei seinem Anblick zuerst einen Lachanfall, und plötzlich begann sie ohne Übergang zu heulen.
»Er will uns unmöglich machen, Vicky«, schluchzte sie.
»Wenn du hier nicht in fünf Minuten wie ein Mensch antrittst«, drohte Viktoria mit zornfunkelnden Augen, »dann...« Sie sprach es nicht aus, was dann geschehen würde, aber sie schien fürchterliche Dinge zu planen.
»Keine Spur von Humor«, stellte Gregor bekümmert fest und zog sich zum zweitenmal in seine Bude zurück. Wenig später erschien er in dem Anzug, den Viktoria ihm zum Examen hatte bauen lassen. Es war ein mittelgrauer Fresko, auf dem Rücken hingen noch ein paar Heftfäden. Viktoria befeuchtete sich die Finger an der Zunge und zupfte die Fäden aus dem Stoff.
»Und benimm dich«, sagte sie warnend.
Kurz nach acht läutete es. Manuela wollte zur Tür
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