Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder
hätten.
Überdies sei sein Vertrauen in sie beide grenzenlos.
Er spürte das Bedürfnis, sich zu entschuldigen und zu erklären, an welchen Entscheidungen er in der jüngsten Zeit beteiligt gewesen war. Allein aus diesem Grund hatte er der Operation Wahrheitsfindung nicht soviel Zeit widmen können. Sie hatten sich am Ende auf diese scherzhafte Bezeichnung der persönlichen Vendetta ihres höchsten Chefs geeinigt, der einen alten Schurken reinwaschen wollte. Oder wie immer es sich damit verhalten mochte.
»Nun«, sagte Carl, als er sich nach dem gemeinsamen schnellen Abwasch in Joars Küche auf das IKEA-Sofa setzte, »wer sucht, wird finden. Erzählt was! Du, Åke, was hast du herausgefunden?«
»Nun«, sagte Åke Stålhandske, als hätte er schon lange auf diese Gelegenheit gewartet, »wenn wir jetzt endlich die Frage verlassen können, was unsere Freunde von der Opposition in Primorsk und dieser Werft Sudomech, oder wie sie heißt, treiben, kann ich euch wenigstens eine gute Geschichte erzählen. Man könnte vielleicht sagen, es ist so etwas wie ein Modellfall.«
Er verschwand im Flur, in dem er eine vollgepackte Aktentasche abgestellt hatte. Joar seufzte schwer bei dem Gedanken, was jetzt vielleicht den Rest des Abends verderben würde.
»Habt ihr zum Beispiel gewußt«, sagte Åke Stålhandske begeistert, als er mit seiner Aktentasche und einigen schon zur Hälfte aufgeschlagenen Wälzern aus den Tiefen irgendeines vergessenen Archivs zurückkehrte, »daß es auch Finnland-Freiwillige in der anderen Richtung gegeben hat?«
Die beiden anderen sahen ihn fragend an. Die Fragestellung war in mehr als einer Hinsicht unklar. Doch Åke ließ sich nicht abschrecken.
»Teufel auch, so war es«, sagte er und blätterte in einigen Aufzeichnungen, während er mit geübten Griffen drei verschiedene Quellenbände an drei verschiedenen Stellen aufschlug - der ist weiß Gott ein Mann des Nachrichtendienstes, konnte Carl noch denken. »Ja, diese Finnlandfreiwilligen in der anderen Richtung sollten dem Russen helfen. Bei denen hieß es also nicht, Finnlands Sache ist die unsere, sondern die Sache der Sowjetunion ist die unsere, mit anderen Worten. Hier haben wir’s. Es begann mit den Freiwilligen Spanienkämpfern. So ein, wie die Leute behaupten, legendär progressiver Mann namens Gösta ›Göken‹ Andersson leitete die schwedische Gruppe. Sein norwegischer Verbindungsmann hieß Asbjörn Sunde. Sie wurden nach dem Spanischen Bürgerkrieg von dieser Wollweber-Organisation angeworben… ja, hier haben wir es. Um ›der imperialistischen Propaganda in Schweden entgegenzuwirken‹, ihr wißt schon, den Aufrufen, sich freiwillig für den Finnlandkrieg zu melden, sollten diese Leute auf der russischen Seite eine Freiwilligenbrigade auf die Beine stellen, die für die andere Seite kämpfte. Diese Scheißkerle kamen jedenfalls zu spät. Zwei Norweger waren im Bottnischen Meerbusen auf dem Weg übers Eis, als Finnland am 13. März 1940 kapitulierte. Ist das nicht einfach fabelhaft?«
Åke Stålhandske hatte mit Feuereifer gesprochen. Die beiden anderen waren unschlüssig und skeptisch, und das mußte ihnen anzusehen sein. Der Weg zu diesem Otter oder diesem af Klintén schien lang und steinig zu sein.
»Ihr wollt wissen, was die Pointe ist?« sagte Åke Stålhandske, ohne sich von den skeptischen Blicken der beiden beirren zu lassen. Beide nickten gleichzeitig. Die Pointe war ihnen tatsächlich entgangen.
»Ja, die kommt gleich«, fuhr Stålhandske fort und blätterte in seinen dicken Wälzern, den früher einmal geheimen Akten, die jetzt offenbar die Altersgrenze von vierzig Jahren überschritten hatten. »Dieser Wollweber war nicht gerade ein Dummkopf.«
»Nein, ich glaube, er war es auch, der später in Ostdeutschland Chef des Nachrichtendienstes wurde«, kommentierte Joar Lundwall gemessen. Sein Tonfall sagte etwa, auch ein blindes Huhn findet manchmal ein Korn.
»Und ob er das war. Und dann müssen wir uns mal ansehen, was die Wollweber-Bande in Schweden trieb. Gründung in Moskau Mitte der dreißiger Jahre. Es war zunächst eine antiimperialistische Sabotage und Terrororganisation, aber während des Krieges, ihr wißt schon, des Großen Vaterländischen Krieges, war sie eher so etwas wie eine Kampforganisation gegen die Nazis. Ja, hier! Wollweber wurde in Schweden erwischt, war aber clever genug, nur so viel zu sagen, daß er für einige Zeit ins Gefängnis kam, aber nicht an die Nazis ausgeliefert wurde. Doch dann
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