Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Haut

Haut

Titel: Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
Vom Netzwerk:
Wie lange hätte sie am Straßenrand liegen müssen, um so auszusehen? Länger als die vier Tage im Auto.
    Sie schlug die Plastikplane längs über Mistys Gesicht, faltete den oberen Rand säuberlich zusammen, verzwirbelte die Ecken und schnürte sie mit Kabelbindern zusammen. Die Anstrengung machte sich im Rücken bemerkbar, als sie den Kokon zur Badewanne schleppte und vorsichtig auf das Eis legte.
    Sie blieb kurz stehen und schaute auf Misty hinunter, auf die groben Umrisse einer Person. Ein zarter Dunst stieg über dem Eis auf, hüllte sie ein und ließ die Kälte durch das Plastik in Haut, Muskeln und Nerven dringen.
    »Ich weiß, es gibt keinen Gott. Aber wenn ich mich irre, und wenn er doch irgendwo da oben ist, dann soll er um Himmels willen...«
    Sie zog die Handschuhe aus und ließ sie fallen. Das Ganze lag bleischwer auf ihr.
    »Um Himmels willen, er soll auf dich aufpassen, Misty. Lass ihn aufpassen auf dich.«
     

14
    Als Flea geduscht, sich die Haare gewaschen und etwas angezogen hatte - eine schwarze Combathose und das schwarze Polohemd der Tauchereinheit -, war der Mond aufgegangen. Durch das Fenster sah sie eine Wolkenbank, die über Ciaverton Down heraufgekrochen kam und sich langsam auf das Haus zuschob. Sie sah aus wie eine Hand. Ausgestreckte Klauen tasteten sich durch den Garten und über das Dach. Flea schloss das Fenster und verriegelte es.
    Trotz des Bodenventilators hing der Geruch noch in der Garage. Mit einem Stieltopf schöpfte sie das Eiswasser aus der Wanne, gab frische Eiswürfel hinein und ließ Wasser in die Schalen in der Gefriertruhe laufen. Der Kofferraum des Focus stand offen; die Verkleidung war bis auf das Blech herausgerissen. Sie hatte die Ablage und die zerrissene Verkleidung mit einer elektrischen Handsäge zerschnitten und in einen großen schwarzen Müllsack gestopft, der jetzt an der Tür lehnte.
    Sie konnte sich gut vorstellen, wie die Garage von außen aussehen würde - die Fenster mit Papier verklebt, und plötzlich brannte stundenlang Licht. Die Oscars würden es bemerken. Sie schaltete die Deckenbeleuchtung aus und stöberte im Licht einer Taschenlampe entlang der Wände herum; sie wühlte in dem, was vom Leben ihrer Familie übriggeblieben war. Hier lag ein alter Halbtrockenanzug ihres Vaters, das Neopren an Ellbogen und Knien war brüchig. Da hing ein Ballastgürtel neben einer Sammlung von Masken. Seine große Liebe war das Extremtauchen an den gefährlichsten Orten auf dem Planeten gewesen, und er hatte die ganze Familie damit angesteckt.
    Sie zog eine Schubkarre zurück, die an der Wand lehnte, und fand, was sie gesucht hatte: einen alten Kanister mit Motorenöl. Am anderen Ende der Garage entdeckte sie eine leere Dose und ein Stück Gummischlauch. Sie hob den Müllsack auf und trug alles hinaus zu dem Clio.
    Die klauenförmige Wolke hing immer noch über dem Haus. Der Regen ließ auf sich warten. Flea wendete den Wagen, fuhr zur unteren Straße und weiter durch die verlassenen Wohnstraßen am Fuße des Solsbury Hill. Über die Umgehungsstraße gelangte sie auf die kleine, einspurige Landstraße, die an der Flanke des Charmy Down Hill hinaufführte. Oben war das Gelände flach. Während des Krieges hatte es hier einen Nachtjäger-Stützpunkt gegeben, auf dem Hurricanes landen könnten. Der Tower existierte noch, und dort, wo die Landebahnen gewesen waren, hatte das Gras eine andere Farbe.
    Sie lenkte den Clio auf den Flugplatz und parkte dicht neben einem alten Weltkriegsbunker. Der Wagen verschwand vollständig in einem Gebüsch von Sommerflieder und Holunder, das von Insekten summte. Flea stieg aus, blieb einen Moment lang stehen und schaute nach Westen. Die Wolken hingen schwer über den Türmen und Straßen von Bath, angestrahlt von den Lichtern der Stadt. Es war seltsam, wie weit man hier oben sehen konnte. Sie drehte sich um und ließ den Blick über das verlassene Flugfeld wandern, über hüfthoch sprießendes Gras und Unkraut, verlassene Gebäude, Stapel von Autoreifen und verrostete Landmaschinen. Hier oben gab es nichts lebendiges, nicht einmal einen Vogel, einen Fuchs oder eine Katze. Es war, als hätte sie die Grenze zu einer toten Welt überschritten.
    Ein Uhr nachts. Es musste jetzt geschehen. Sie riss den Kofferraumdeckel auf, nahm den Müllsack mit der zerschnittenen Ablage und den Verkleidungsfetzen heraus, warf ihn auf den Boden und holte den Ölkanister. Sie stellte sich breitbeinig über den Sack, öffnete den Kanister und ließ das

Weitere Kostenlose Bücher