Heiliger Zorn
irgendwo hörte ich das Wispern der anspringenden Klimaanlage. Auf einem Ecktisch erwachte ein Datengitter zum Leben. Die Luft roch intensiv nach antibakteriellen Mitteln, kam aber in Bewegung, als das System Bewohner registrierte. Ich warf meinen Rucksack in die Ecke, schälte mich aus der Jacke und schnappte mir einen Stuhl.
»Eine Küche gibt’s in einer der anderen Hütten«, erklärte Sylvie, während sie durchs Zimmer ging und Innentüren öffnete. »Aber das meiste, was wir gekauft haben, ist sowieso selbsterhitzend. Und alles, was wir sonst noch brauchen, haben wir dabei. Da ist ein Bad. Da, da und da sind Betten. Leider kein Autoform. Als ich das Schloss geöffnet habe, bin ich auf die Spezifikationen gestoßen. Hier sollen sechs Leute schlafen können. Datensysteme fest verdrahtet und mit direkter globaler Netzverbindung über den Stack der Universität von Millsport.«
Ich nickte und bewegte gemächlich die Hand durchs Datengitter. Vor mir erschien schimmernd eine streng gekleidete Frau. Ihre förmliche Verbeugung wirkte irgendwie drollig.
»Professor van Dusel.«
Ich warf einen Blick in Sylvies Richtung. »Sehr witzig.«
»Ich bin Grabung 301. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«
Ich gähnte und blickte mich im Zimmer um. »Hat diese Hütte irgendwelche Verteidigungssysteme, Grabung?«
»Wenn Sie damit Waffen meinen«, antwortete das Konstrukt gespreizt, »dann lautet die Antwort leider nein. Projektilwaffen oder ungerichtete Energieentladungen in der Nähe eines Ortes von so großer xenologischer Bedeutung wären unverzeihlich.
Allerdings haben alle Wohneinheiten ein Kodesystem, das extrem schwer zu knacken ist.«
Ich warf Sylvie einen weiteren Blick zu. Sie grinste. Ich räusperte mich.
»Natürlich. Wie sieht’s mit der Überwachung aus? Wie weit bergab reichen die Sensoren?«
»Mein Aufmerksamkeitsbereich deckt lediglich die Ausgrabungsstätte und die Nebengebäude ab. Allerdings kann ich durch meine vollständige globale Datenverbindung auf alle…«
»Ja, danke. Das wäre dann alles.«
Das Konstrukt verblasste, und einen Moment lang wirkte der Raum düster und verlassen. Sylvie ging zur Eingangstür und schob sie zu. Sie machte eine umfassende Geste.
»Glaubst du, wir sind hier sicher?«
Ich zuckte die Achseln und dachte an Tanasedas Drohung. Ein globaler Steckbrief für Ihre Festnahme. »So sicher wie an jedem anderen Ort, der mir im Moment einfällt. Ich persönlich würde mich noch heute Nacht auf den Weg nach Millsport machen, aber das ist genau der Grund, aus dem…«
Ich hielt inne. Sie sah mich neugierig an.
»Genau der Grund, aus dem – was?«
Genau der Grund, aus dem wir uns an eine Idee halten, die du hattest und nicht ich. Weil bei allem, was mir einfallt, eine gute Chance besteht, dass es auch ihm einfallt.
»Das ist genau das, was sie von uns erwarten«, beendete ich den Satz. »Wenn wir Glück haben, fahren sie mit dem schnellsten Hover, den sie kriegen, nach Süden, direkt an uns vorbei.«
Sie setzte sich rittlings mir gegenüber auf den Stuhl.
»Ja. Und was machen wir in der Zwischenzeit?«
»Ist das ein Angebot?«
Es war raus, bevor ich begriff, was ich gesagt hatte. Ihre Augen weiteten sich.
»Du…«
»Tschuldigung. Tut mir Leid, das war. Ein Scherz.«
Bei den Envoys hätte mich so eine schlechte Lüge unter allgemeinem Spott rausfliegen lassen. Beinahe konnte ich vor mir sehen, wie Virginia Vidaura ungläubig den Kopf schüttelte. Damit hätte ich nicht mal einen zur Anerkennungsfeier mit Glaubenssakramenten voll gepumpten Loyko-Mönch überzeugt. Und ganz sicher hatte Sylvie Oshima es nicht geglaubt.
»Hör mal, Micky«, sagte sie langsam. »Ich weiß, dass ich dir wegen des Abends mit den Bärten was schuldig bin. Und ich mag dich. Sehr. Aber…«
»He, im Ernst. Es war ein Witz, in Ordnung? Ein schlechter Witz.«
»Ich sage ja nicht, dass ich nicht daran gedacht habe. Ich glaube, ich habe vor ein paar Tagen sogar davon geträumt.« Sie lächelte, und irgendwas passierte in meinem Bauch. »Glaubst du das?«
Ich brachte ein weiteres Achselzucken zustande. »Wenn du es sagst.«
»Es ist nur so.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich kenne dich nicht, Micky. Ich kenne dich kein bisschen besser als vor sechs Wochen, und das macht mir ein bisschen Angst.«
»Ja, klar. Sleevewechsel. Das kann einen…«
»Nein. Das ist es nicht. Du bist zugeknöpft, Micky. Du bist zugeknöpfter als jeder andere Mensch, den ich kenne, und du kannst mir glauben, dass ich
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